Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

(Ergänzter Auszug aus dem Buch «3 x 33 Jahre Weihnachtstagung und die Krise der AAG»)[1]

Thomas Heck, 2022/23

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Vorbemerkung

Wenn die heutige Goetheanum-Leitung in Verbindung gebracht wird mit der Goetheanum-Leitung, die von Rudolf Steiner in den Statuten der Weihnachtstagungs-Gesellschaft benannt wurde, so ist lediglich der Name gemeinsam, nicht aber der Ursprung und der Anlass der Gründung. Die heutige Goetheanum-Leitung steht daher in keiner Kontinuität mit der damaligen, sondern ist 2012 entstanden, da die Situation am Goetheanum neu gegriffen werden musste aus einer krisenhaften Situation. So entstand ein neues Organ, welches «im Oktober 2012 auch formal gegründet wurde, unter uns [der Goetheanum-Leitung].» Und weiter: «Mit der Gründung und der Einsetzung der Goetheanum-Leitung ist diese Gesamtverantwortung für das Goetheanum, die Gesellschaft und die Hochschule an die Goetheanum-Leitung übergegangen.»[2]

Da es sich um ein neugegründetes Organ handelt, ist es irreführend, wenn in §3 der Statuten der AAG der Eindruck entsteht, die heutige Goetheanum-Leitung stehe als Organ in einer Nachfolge oder einem Zusammenhang mit dem, was in den Statuten der Weihnachtstagungs-Gesellschaft gemeint war: «Die im Gründungs-Statut genannte Goetheanum-Leitung umfasst die Vorstandsmitglieder sowie die Leitenden der einzelnen Sektionen der Hochschule, die sich ihre Arbeitsformen selber geben.» (Hinzu kommt, dass es sich bei den hier mit ‹Gründungstatut› bezeichneten Statuten von 1923 keinesfalls um das Gründungsstatut der AAG handelt, denn diese wurde bereits 1913 gegründet.)

Der Vorlauf im Jahr 2011

Es ist erstaunlich, wie sich in gewisser Weise wiederholen sollte, was bereits 2001/2002 geschah – jetzt, im Jahr 2011, nach den Umlaufszeiten geschichtlicher Ereignisse korrespondierend mit der Gesellschaftsgründung von Köln 1912.[3] Wieder boten sich Möglichkeiten der Erneuerung, und das Geschehen war charakterisiert durch zahlreiche Mitglieder-Anträge zur Generalversammlung. Die Antragsteller, die sich für die Gesellschaft engagierten, wünschten mehr Mitsprachemöglichkeiten und sahen das autoritäre Wirken des Vorstandes als unzeitgemäss und unangemessen an.

Misstrauensantrag und Umgestaltung der Vorstandssituation

Besonders ein Misstrauensantrag (Antrag 2.1), verbunden mit der Absicht, die gesamte Vorstandssituation neu zu gestalten, stand im Mittelpunkt und beschäftigte die Mitgliedschaft und die Gesellschaftsleitung bereits Monate vor der Generalversammlung.

Nachfolgend der Versuch eines (unvollständigen) Überblicks über die ausführliche Begründung dieses Misstrauens- und Umgestaltungsantrags (siehe AWW 2011/3):

Deutlich wurde zum Ausdruck gebracht, dass in dem Wirken des Vorstandes eine zunehmende Veräusserlichung und ein sich Orientieren an erhoffter Anerkennung durch die nichtanthroposophische Aussenwelt gesehen wurde. Es würden keine originären Impulse mehr erarbeitet und anthroposophische Kernanliegen und Aufgaben an den Rand gedrängt. So seien ganze Sektionen wegen personeller Entlassungen nur noch eingeschränkt tätig. Im Bereich der Kunst seien durch Kündigungen schwere Einschnitte erfolgt (Kündigung des Bühnenensembles, Abbau der Sprachausbildung), und im Bereich der bildenden Künste sei die ganze Sektion 2010 stillgelegt worden. Der Verwaltungsapparat sei zu gross, von den 6 Vorständen leite nur noch Paul Mackay eine Sektion, dessen Intention allerdings dahin gehe, diese in eine von aussen gesteuerte Plattform umzugestalten. Das wöchentliche Nachrichtenblatt sei ohne vorherige Konsultation und ohne Beschluss der GV quasi abgeschafft und die [schon 2001 als ungenügend empfundene][4] interne Kommunikation damit massiv reduziert worden. Viele hätten sich aufgrund des Vertrauensverlustes in die Gesellschaftsleitung von der Gesellschaft abgewendet und ihre Unterstützung (auch Spenden) entzogen. Weiterhin wurde die Konzentration der Entscheidungsbefugnis auf wenige Personen kritisiert (Paul Mackay und Bodo von Plato). Es wurde die Machtkonzentration insbesondere bei Paul Mackay thematisiert sowie die Einflussnahme des Vorstandes in Angelegenheiten der Hochschule. Mit Blick auf die Finanzen wurde die zurückgehende Spendenbereitschaft aufgrund des Vertrauensverlustes benannt sowie die Absicht, mittels einer ‹Goetheanum-Stiftung› Finanzmittel aus Finanzmarktgeschäften zu generieren. Erwähnt wurde auch der fragwürdige Vorgang des Verkaufes der Weleda-Partizipationsscheine an einen Investor. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass dem Vorstand die Entscheidungsgewalt über den Weleda-Aktienbesitz an der GV 2010 entzogen worden war.

Eine Initiativgesellschaft sollte entstehen!

Als Gegenreaktion auf diesen «Abwahlantrag» wurde vom Vorstand vorgeschlagen, die Amtszeit für Vorstände zukünftig auf 7 Jahre zu begrenzen, mit der Möglichkeit, sich jeweils neu bestätigen zu lassen. Dieser Vorschlag wurde von Paul Mackay und Bodo von Plato mit besonders hehren Zielen begründet: So sollten «… die Mitglieder verstärkt in die Verantwortung einbezogen werden».[5] Sowie: «Gern möchten wir die Zusammenarbeit der Mitglieder mit den Verantwortungsträgern verstärken, sodass die Gesellschaft zum Partner des Vorstands wird und sich nicht als Gegenüber versteht.» Und weiter: «Es geht darum, dass wir ein neues soziales Feld entwickeln. Damit ist gemeint, dass die Mitglieder mehr einbezogen werden. Das heißt, dass es nicht nur um einen Initiativvorstand geht, sondern auch um eine Initiativgesellschaft. Eine Initiativkultur zu entwickeln ist eine wichtige Aufgabe der Gesellschaft.»[6] Man hatte im Vorstand gemerkt, «dass es ein Grundbedürfnis der Mitglieder ist, mehr in die Geschehnisse der Gesellschaft und ihre Gestaltung einbezogen zu werden. Rudolf Steiner hat die Mitglieder aufgerufen, tätige Mitglieder zu werden. Wenn dies gelingt, darf die Anthroposophische Gesellschaft als eine Initiativgesellschaft aufgefasst werden. Jedes Mitglied ist eingeladen, seinen spezifischen Beitrag dazu zu leisten. Es entsteht eine gesellschaftliche Kraft, die mehr ist als die Summe der Mitglieder. Eine Kraft, die in der Lage ist, ‹Berge zu versetzen›! Und wäre es nicht ein wunderbares Jubiläumsgeschenk an Rudolf Steiner, diese Kraft verstärkt ins Leben zu rufen?»[7] (Paul Mackay in «Anthroposophie weltweit» 9/11.)

Leere Versprechen!

Diese angeblichen Ziele erwiesen sich schon durch das nachfolgende Verhalten der Leitung als leere Versprechen. Als geradezu taktisches Lügengebäude offenbarten sich diese durch Paul Mackays öffentliches Eingeständnis, als er 2019 zur Begründung seines Antrages zur Aufhebung dieser Amtszeitbeschränkung vorbrachte, dass deren Einführung 2011 lediglich eine (mögliche Über-) Reaktion auf den damaligen Abwahlantrag gewesen sei! Weiter führte er aus, dass schon regelmässig eine Besinnung auf die Vorstandstätigkeit erfolgen solle, allerdings ohne die Mitgliedschaft einzubeziehen, denn nur im Kreis der Goetheanum-Leitung und der Konferenz der Generalsekretäre sei eine Beurteilung der Vorstandstätigkeit möglich.[8]

Die Goetheanum-Leitung entsteht (2012)

Mit der Goetheanum-Leitung wurde der AAG ein Leitungs-Organ hinzugefügt, welches statuarisch im Grunde nicht existiert: Es wird zwar in den Statuten erwähnt, nicht jedoch, welche Aufgaben es hat, wie die Verantwortlichkeiten sind, nichts über die Verfahren der Bildung und schon gar nichts über eine Rechenschaftspflicht. Und an genau dieses Organ hat der Vorstand zentrale Leitungsaufgaben delegiert – inklusive der Verantwortlichkeit (aber offensichtlich ohne eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Mitgliedschaft).

Welch ein Gegensatz zu den vorjährig verkündeten Zielen.

Von Rechenschaft und Transparenz ist in der Geschäftsordnung (die erst 7 Jahre später an einem Ort veröffentlicht wurde, an dem sie kaum jemand gefunden hat, zudem in kurz zuvor modifizierter Form)[9] durchaus die Rede, allerdings nur innerhalb der Goetheanum-Leitung! Untereinander sollen Rechenschaft und Transparenz gepflegt werden, gegenüber der Mitgliedschaft ist dies nicht vorgesehen, die Mitgliedschaft kommt in der Geschäftsordnung im Grunde gar nicht vor. So wird deutlich, dass das, was Paul Mackay ebenfalls sieben Jahre später offenbarte (siehe Seite 2), schon 2012 systematisch in der Geschäftsordnung der Goetheanum-Leitung festgeschrieben wurde.

«Die Arbeitsweise der Goetheanum-Leitung im Hinblick auf die Leitung der Hochschule und der Sektionen sowie der Anthroposophischen Gesellschaft wird in Transparenz und gegenseitiger Rechenschaftspflicht wahrgenommen und jährlich evaluiert.»[10]

Wie die Goetheanum-Leitung ihr Verhältnis zu den Mitgliedern sieht, wird aus einer unveröffentlichten Beschreibung des Projektes «Goetheanum in Entwicklung» aus dem Jahr 2017 deutlich:

«Ein wesentliches Ziel aller genannten Projekte ist es, innerhalb von drei Jahren die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Goetheanum zu erreichen. Die Basis dafür ist das Vertrauen in das Goetheanum und seine Entwicklung. Ein wichtiger Impuls ist in diesem Zusammenhang die Initiative einer verstärkten Pflege der Beziehung zu den Mitgliedern. Denn noch immer bleiben weiterhin die Mitgliederbeiträge eine wesentliche Grundlage der Finanzen.»[11]

Keine günstigen Voraussetzungen

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Goetheanum-Leitung – im Verbund mit den Landesvertretern – als die eigentliche Gesellschaft versteht. Von einer Partnerschaft mit der Mitgliedschaft, von «einem neuen sozialen Feld», davon, dass «die Mitgliedschaft mehr einbezogen wird», von einer «verstärkten Pflege der Beziehung zu den Mitgliedern», von dem Vertrauen als Basis ist in der Geschäftsordnung einfach nichts zu finden. Die Gestaltungsprozesse für die Bildung der Goetheanum-Leitung fanden im Jahr 2011 statt, genau in dem Jahr, als die Amtszeitbegrenzung der Mitgliedschaft mit hehren – jedoch nur vorgetäuschten – Absichten schmackhaft gemacht worden war, denn in Wirklichkeit wollte man eine Abwahl verhindern. Durch das Eingeständnis Paul Mackays im Jahr 2019 wurde deutlich, dass schon der Bildungsprozess dieses Organs mit unwahren Darstellungen gegenüber der Mitgliedschaft verbunden war. Keine ‹günstigen Voraussetzungen› für eine anthroposophische Gesellschaft. Die offizielle Einführung der Goetheanum-Leitung erfolgte dann 2012, 100 Jahre nach der Gesellschaftsgründung in Köln!

Antrag zur Stärkung der Goetheanum-Leitung

Mit dem zur Generalversammlung 2024 zur Abstimmung vorgelegten Antrag soll nun die Goetheanum-Leitung auch in den Statuten verankert werden. Dies entspricht dem Wunsch zumindest eines grossen Teiles der Mitgliedschaft, wie eine Umfrage ergeben hat. Bestätigt wurde dies auch durch die 130 Mitunterzeichnung des Antrages.

Allerdings ist der Vorstand der Ansicht, dass die Goetheanum-Leitung für die Gesellschaft keine Verantwortung trage. So wurde in einer Reaktion auf den Antrag von Ueli Hurter und Justus Wittich ausgeführt: «Die Goetheanum-Leitung ist vielleicht das wichtigste Bewusstseins-Organ der Anthroposophischen Gesellschaft, aber es trägt insbesondere und ausdrücklich keine Verantwortung für die Gesellschaft Und weiter: «Sie ist nicht zuständig oder verantwortlich für gesellschaftliche Angelegenheiten…». Das ist bemerkenswert, heisst es doch in der Geschäftsordnung der Goetheanum-Leitung: «Die Goetheanum-Leitung ist über alle wesentlichen Vorgänge in der Anthroposophischen Gesellschaft und der Hochschule zu informieren und trifft in übergeordneten Fragen der einzelnen Verantwortungsbereiche Richtungs- und Zielentscheidungen.» Und wie bereits oben zitiert hatte Ueli Hurter mitgeteilt: «Mit der Gründung und der Einsetzung der Goetheanum-Leitung ist diese Gesamtverantwortung für das Goetheanum, die Gesellschaft und die Hochschule an die Goetheanum-Leitung übergegangen.» Ist das nicht eindeutig genug?

Thomas Heck, 12. März 2024

[1] Thomas Heck, «3 x 33 Jahre Weihnachtstagung und die Krise der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft», Dornach 2023.

[2] Zitate in diesem Abschnitt: Ueli Hurter in einer Ansprache zur Goetheanum-Leitung am 18. Dez. 2023, goetheanum.tv.

[3] Die Ansicht, es handle sich um 33 1/3 Jahre, kann nicht auf Rudolf Steiner zurückgeführt werden. Eindeutig ist von 33 Jahren die Rede, was dann zu 99 Jahren führt, nicht 100. Rundbriefe 30, Sonderausgabe vom 30. Jan. 2022, Nr. 41. Siehe www.wtg-99.com/Rundbriefe-Archiv. Näheres dazu siehe Fussnote 1.

[4] Anmerkung TH.

[5] «Dokumentation der Anträge», AWW 3/2011.

[6] Paul Mackay in «Anthroposophie weltweit» 5/11

[7] Paul Mackay in «Anthroposophie weltweit» 9/11.

[8] Nur im Internet: https://www.goetheanum.org/fileadmin/kommunikation/GV_2019_Antraege.pdf (letzter Zugriff: 1. Jan. 2024).

[9] Am 18. Febr. 2020 erfolgte eine erneute Änderung der Geschäftsordnung, die auch 4 Jahre später (12. März 2024) der Mitgliedschaft nicht bekannt ist!

[10] Jahresbericht 2018/19, S. 42.

[11] Unveröffentlichter Auszug aus einem internen Dokument: https://wtg-99.com/documents/GoetheanuminEntwicklung.pdf

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