Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Corona-Aufarbeitung – Kooption

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass mit dem Jahr 2024 wichtige Entscheidungen anstehen, die für das Zusammenleben der Menschen in Freiheit und Würde entscheidend sein können – gemeint sind hier vor allem die Bestrebungen der supranationalen Institutionen und Bewegungen wie der WHO, One Health, dem World Economic Forum uvm. Besonders im Fokus steht der geplante Pandemievertrag und die Internationalen Gesundheitsregeln (IHR), über die Ende Mai abgestimmt werden soll. Aber auch für unsere Gesellschaft – eine anthroposophische Gesellschaft – deren soziale Verhältnisse und Strukturen vorbildlich sein sollten, stellt sich die Frage, ob an der diesjährigen Generalversammlung ein nachhaltiger und verbindlicher Veränderungsprozess hin zu zeitgemässen und zukunftsweisenden Strukturen etabliert werden kann. Ganz gleich, worauf man blickt: Es wird vor allem darauf ankommen, ob in der Zivilgesellschaft – das ist bei uns die Mitgliedschaft – genügend Veränderungswille zum Tragen kommen kann und das notwendige Engagement entsteht. Ausgehend von den Ergebnissen der Umfrage sollte das eigentlich möglich sein. Was aber kann wirklich realisiert werden?

Ergebnisse der Mitglieder-Umfrage

Es werden hiermit die Ergebnisse der Mitgliederumfrage veröffentlicht, die als Initiative aus einer Arbeitsgruppe im Zusammenhang mit den Mitgliedforen entstanden ist. Es erreichten uns aus 25 Ländern ca. 330 Antworten – das entspricht 8 – 9% der 3.500 – 4.000 erreichten Adressen. Nach herkömmlichen Massstäben ist das durchaus ein respektables und auch repräsentatives Ergebnis. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 wurde von der Redaktion des damals noch wöchentlich erscheinenden Mitteilungsblattes «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht» eine Leserumfrage durchgeführt. Von den 8.500 Abonnenten antworteten 214 (2,5%). Auch dies war nach üblichen statistischen Grundsätzen durchaus repräsentativ, gewiss immer nur für die befragte Gruppe, nicht die ganze Gesellschaft!

Die Ergebnisse des recht umfangreichen Fragenkataloges sind in einer Präsentation zusammengefasst und können im Internet abgerufen werden (Mit diesem Link [English translation] oder unter www.wtg-99.com/Rundbriefe-Archiv) bzw. sind dem Versand dieses Rundbriefes beigefügt.

Die Antwortmöglichkeiten wurden vielfach als zu eingeschränkt erlebt, was in der hohen Anzahl der freien Antworten zum Ausdruck gekommen ist: Insgesamt liegen über 2.000 zum Teil sehr ausführliche Kommentare bzw. freie Antworten vor, bei einigen Fragen haben bis zu zwei Drittel der Befragten die freie Antwortmöglichkeit genutzt – z.B. zur Kommunikation und zur Klimafrage. Die Kommentare konnten für eine Veröffentlichung noch nicht bearbeitet werden.

Ganz herzlich sei allen Teilnehmern gedankt, die sich die Zeit genommen haben, die Fragen zu beantworten. Der Dank gilt aber auch all denjenigen, die zu dem Zustandekommen dieser Umfrage beigetragen, an dem Fragenkatalog mitgearbeitet und uns zur Durchführung ermutigt haben.

Antrag zur Stärkung der Goetheanum-Leitung

Die Goetheanum-Leitung ist heute das wichtigste Leitungsorgan der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Es ist allerdings nicht von der Mitgliedschaft legitimiert und Rechenschaft wird lt. Geschäftsordnung (Stand 2019) nur intern, innerhalb der Goetheanum-Leitung abgelegt, nicht gegenüber der Mitgliedschaft. Ganz anderes an der Weihnachtstagung: Rudolf Steiner liess der Besetzung des Leitungs-Organs selbstverständlich zustimmen – wodurch dieses Organ legitimiert wurde. Und ebenso selbstverständlich war in den Statuten vorgesehen, dass jährlich ein vollständiger Rechenschaftsbericht gegeben werden sollte – statutarisch festgelegt (§ 10).

Ist es wirklich zeitgemäss, vorbildlich und angemessen, wenn in unserer Gesellschaft das inzwischen zentrale Leitungsorgan, welches sich aus sich selbst heraus erweitert, ohne Legitimation durch die Mitgliedschaft und ohne eine Vereinbarung zur Rechenschaft gegenüber der Mitgliedschaft besteht? Die Antworten der befragten Mitglieder sind eindeutig.

In diesem Sinne wurde der Lenkungskreis der Mitgliederforen und die Goetheanum-Leitung angeschrieben (siehe E-Mail), denn idealerweise sollte gemeinsam, aus Mitgliedschaft und Leitung, eine Regelung entwickelt werden, die dann von der Generalversammlung bestätigt werden könnte. Nachdem die Goetheanum-Leitung bereits seit 2012 existiert und dieses Problem seit 2019 thematisiert wird, erscheint es nun doch an der Zeit zu handeln. Eine statutarische Verankerung der Goetheanum-Leitung würde zweifellos zu einer Stärkung dieses Leitungsorgans führen. Zudem könnte es zu einem erheblichen Vertrauensgewinn beitragen, wenn dies von der Goetheanum-Leitung selber so gesehen werden würde. In dem hier vorgelegten Vorschlag ist nicht alles detailliert geregelt, damit Spielraum für das Leben bleibt und sich zeigen kann, wie z.B. mit der Frage nach der Rechenschaft umgegangen wird. In diesem Sinne soll als Vorschlag der «Antrag zur Stärkung der Goetheanum-Leitung» eingebracht werden. Bereits im Vorfeld (bei einer Art Testlauf) haben insgesamt 36 Mitglieder diesen Antrag unterzeichnet. Nun ist die gesamte Mitgliedschaft zur Beteiligung eingeladen, was unter diesem Link erfolgen kann. Dort ist auch eine Unterschriftsliste herunterladbar und die Namen der bisherigen Unterstützer einsehbar, sofern sie der Veröffentlichung im Internet zugestimmt haben. Weitere Informationen: («Die Entstehung der Goetheanum-Leitung»).

Corona-Aufarbeitung

Auf die vielfach als problematisch erlebte Haltung der Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und insbesondere der Medizinischen Sektion (sowie weiterer anthroposophischer Institutionen) wurde immer wieder hingewiesen – insbesondere in «Ein Nachrichtenblatt» und in unseren Rundbriefen. Angesichts dieses Verhaltens muss die Frage nach einer Aufarbeitung gestellt werden.

Zwei Drittel der Befragten sind klar der Ansicht, dass es einer Aufarbeitung bedarf. Aus den Kommentaren wird deutlich, dass auch unter denjenigen, die sich dagegen aussprechen, etliche dem Verhalten kritisch gegenüber stehen. Insofern muss uns dieses Thema schon beschäftigen.

Ein Vorschlag, was aufzuarbeiten wäre, wurde im Rundbrief 70 (August 2023) skizziert. Die Reaktionen seitens des Vorstandes beschränkten sich leider auf persönliche Kritik gegenüber dem Autor, auf die Inhalte wurde nicht eingegangen. In Folgegesprächen[1] wurde durchaus eine Aufarbeitung in Aussicht gestellt, es war sogar von einer ‹Wahrheitskommission› nach dem Vorbild in Südafrika zur Aufarbeitung der Apartheit die Rede. Eine entsprechende Ankündigung sollte noch im Dezember 2023 öffentlich erfolgen. Nach Rücksprache mit den Leitungskollegen wurde dies jedoch zurückgenommen, eine Ankündigung ist bisher nicht erfolgt. Aktuell ist die Themengruppe 8 der Mitgliederforen «Kooperationen mit WHO, One Health etc.» mit dem Vorstand im Gespräch. Die bisherigen Erfahrungen stimmen allerdings nicht optimistisch. Insofern wird voraussichtlich in den nächsten Tagen ein entsprechender Antragsentwurf vorgelegt werden. Ein einvernehmliches Vorgehen mit der Leitung würde damit nicht ausgeschlossen und wäre einer kontroversen Abstimmung an der Generalversammlung auf jeden Fall vorzuziehen.

Antrag oder Anliegen zur Vorstands-Kooption?

In Bezug auf das Kooptionsverfahren zur Vorstandsergänzung sind die Ergebnisse aus unserer Umfrage ebenfalls eindeutig: Nur 9 % halten dieses Verfahren ohne Wenn und Aber für richtig, über 80% sehen Veränderungsbedarf: 60 % halten eine Ergänzung des Verfahrens für notwendig, 19 % sind der Ansicht, das Verfahren sei einfach abzuschaffen. Auch wenn letzteres sicherlich keine wirklich sinnvolle Option wäre, ist der Wunsch nach Veränderung zumindest in dem von uns befragten Teil der Mitgliedschaft sehr gross. Es sei daran erinnert, dass das Kooptionsverfahren in dieser generellen Form keineswegs auf Rudolf Steiner zurückgeht, sondern ausgerechnet in dem Krisenjahr 1935, als Ita Wegman und Elisabeth Vreede aus dem Vorstand ausgeschlossen wurden, quasi am Bewusstsein der Mitgliedschaft vorbei unter (irrtümlicher?) Berufung auf die Weihnachtstagung eingeführt wurde («Der Ursprung der Vorstands-Kooption»). So beruht das bestehende Kooptionsverfahren in unserer Gesellschaft auf fragwürdigen Grundlagen und entspricht keineswegs einer zeitgemässen Sozialgestaltung. Auch hier besteht Heilungsbedarf. Bestünde nicht die Möglichkeit, gerade jetzt, wo wir an einem Anfang stehen, unter Partizipation der Mitgliedschaft die weiteren Geschicke unserer Gesellschaft zu gestalten, die vorgesehene Kooption z.B. zunächst auszusetzen und dieses Thema in die Mitgliederforen zur Bearbeitung einzubringen? Dies wäre eine weitere, sehr wichtige vertrauensbildende Geste, wobei die Möglichkeiten des Zusammenwirkens des Vorstands mit der Goetheanum-Leitung in keinerlei Weise beeinträchtigt würden.

In diesem Sinne wurde die Goetheanum-Leitung bereits angeschrieben (Mail vom 4. Februar 2024) – was bisher ohne Reaktion blieb.

Was kann man tun? Denkbar wäre es, an die Möglichkeit eines freiwilligen Verzichts wie hier beschrieben zu erinnern. Dies könnte ergänzt werden durch einen Antrag auf Vertagung, sofern eine Vorstandserweiterung zur Bestätigung auf die Tagesordnung gesetzt würde (ein Eventualantrag).

Denkbar wäre folgende Formulierung:

«Antrag zur Vorstandserweiterung

Angesichts der bestehenden Entwicklungsprozesse in unserer Gesellschaft auch in Bezug auf die Gesellschaftsverfassung wird der Vorstand gebeten, bis auf Weiteres von Vorstandserweiterungen im Kooptationsverfahren zu verzichten.

Die Generalversammlung möge beschliessen, die traktandierte Vorstandserweiterung bis auf weiteres zu vertagen.»

Auch hierzu könnte es in den nächsten Tagen einen konkretisierten Vorschlag geben.

Thomas Heck

[1] Es handelte sich um von Harald Jäckel moderierte Gespräche, an denen seitens des Vorstandes Ueli Hurter und Justus Wittich teilnahmen, seitens der Mitgliedschaft Eva Lohmann Heck, Jens-Peter Manfrass und Thomas Heck. Ursprünglich waren diese Gespräche von Gerald Häfner initiiert und als «Friedensinitiative» bezeichnet worden. Davon wird an anderer Stelle gelegentlich zu berichten sein.

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