Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Zum Bericht über die Generalversammlung der AAG in AWW 5/22

Ist die Weltgesellschaft überhaupt eine Realität?

Der nachfolgende Bericht ist als Reaktion auf die von Ueli Hurter verfasste Kolumne «Zum Abstimmungsgeschehen» in AWW 5/22 entstanden, wobei auch die übrige Berichterstattung über die Generalversammlung 2022 angesprochen wird. Aufgrund der reduzierten Seitenzahl von Anthroposophie weltweit ist dort eine sachgemässe Erwiderung nicht möglich und es konnte daher dort nur eine stark zusammengekürzte Zusammenfassung erscheinen (AWW 6/22). Im Anhang sind mündliche GV-Beiträge von Marjatta van Boschoten und Thomas Heck wiedergegeben.

Desweiteren wird die Frage gestellt, ob man angesichts des rapide abnehmenden Interesses der Mitglieder an der Gesellschaft überhaupt noch von einer ‹Weltgesellschaft› sprechen kann.

Zu der Kolumne «Zum Abstimmungsgeschehen»

Seitens des Vorstandes, der die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als einen der beiden Hauptaktionäre sowohl in der Weleda-Generalversammlung als auch im Verwaltungsrat vertritt, wurden wechselnden, z.T. sich widersprechende und nicht nachvollziehbare Argumentationen für eine „Ausgliederung“ der Weleda-Aktien an eine unbekannte Institution vorgebracht. Dies hat in der Mitgliedschaft erhebliche Irritationen verursacht und zu einem deutlichen Vertrauensverlust geführt. Die Chance, diesen wieder auszugleichen, beruht auf einer Mitgliederinitiative. Darauf hätte Ueli Hurter in seiner Kolumne ruhig hinweisen können. Auch wenn gewiss nicht beabsichtigt, so werden diese Ausführungen zumindest von informierten Mitgliedern kaum als hilfreich erlebt werden, denn sie sind  – auch durch das Nichtgesagte – in hohem Masse einseitig, irreführend und vermitteln kein zutreffendes Bild der tatsächlichen Vorgänge, sie würden einer sachlichen Überprüfung nicht standhalten können:

  • Ja, es bestand eine Unsicherheit über die Berechtigung und Zuständigkeit des geplanten neuen Leitungsorgans. Die Ursache dafür? Wie in der Kolumne beklagt, fehlte es tatsächlich an gutem Willen – allerdings des Vorstands – auch nur im Ansatz der Mitgliedschaft den Zweck dieses neuen Leitungsorgans zu vermitteln, nicht einmal auf direkte Nachfrage hin. Zudem wurden wesentliche Teile der von mir vorgebrachten Argumente schlicht ausgelassen (diese und die Ausführungen von Marjatta van Boschoten siehe Anhang weiter unten). Ohne eine vernünftige Begründung konnte man diesem Antrag nicht zustimmen und er wäre wohl auch ohne den Geschäftsordnungsantrag abgelehnt worden. Nun ist er nur vertagt. Offensichtlich sind die entsprechenden Vorhaben aus dem Jahr 1999[1] heute im Vorstand unbekannt. Hat man auch vergessen, dass die in AWW 12/18 angekündigten Massnahmen, zu denen auch die beabsichtigte Einführung dieses neuen Leitungsorgans gehörte, bei der Besprechung an der GV 2019 auf deutlich kritische Resonanz gestossen sind?
  • Gewiss hat der ursprüngliche Antrag zur Weleda Misstrauen erweckt, zu Recht, denn die wirklichen Gründe, warum die Aktien an eine andere Institution zum Nennwert übertragen werden sollten, waren vom Vorstand nicht benannt worden. Diese Art der Übertragung wird allgemein und zutreffend als verkaufen Was soll da missverstanden worden sein? Und ist es nicht einfach logisch, dass ein Wollen unverständlich bleibt, wenn die wahren Gründe für dieses Wollen nicht gesagt werden?
  • «Die Eigentümerschaft einer Firma ist über den von ihr gewählten Verwaltungsrat für die Ausrichtung und Zielsetzung zuständig, partizipiert an deren Erfolg – trägt aber zugleich eine erhebliche Mitverantwortung für gedeihliche und fördernde Rahmenbedingungen des Unternehmens sowie die darin mitarbeitenden Menschen.»[2] Die Eigentümerschaft liegt bei der AAG, die sich aus der Mitgliedschaft bildet. Der Vorstand vertritt diese lediglich und ist dieser gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Tatsache ist, dass die Bevölkerung in Schwäbisch Gmünd über die örtliche Presse besser über die Entwicklungen in der Weleda informiert wird, als wir, wie z.B. über die zusätzlich geplanten Investitionen von 4,6 Millionen CHF jährlich in die Bereiche Gemeinwohl und Umwelt. Darüber war erst auf Nachfrage etwas zu erfahren. Aber auch zu den nachfolgenden Punkten, wird der Mitgliedschaft nicht ordentlich berichtet: Die wechselnden und unterschiedlichen Äusserungen zu den Streichungen der Heilmittel sind kaum einzuordnen. Wurde über Sinn und Zweck der im März 2022 neu gegründeten Weleda HealthCare AG (Arlesheim) berichtet? Kennt jemand den Zweck der Weleda Trademark AG (Arlesheim), bei der lt. Handelsregister die Markenrechte der Weleda verwaltet werden? Was geschieht mit den (vermutlich erheblichen) nicht nur deutsche Steuern sparenden dort anfallenden Gewinnen? Wie kann man – und das wurde tatsächlich geäussert – der Ansicht sein, dass diese und andere Fragen die Mitgliedschaft nicht zu interessieren haben? Es möge jeder selber einordnen wie es zu beurteilen ist, dass die eigentliche Eigentümerschaft der Weleda so gut wie gar nicht informiert und damit die bestehende Rechenschaftspflicht ignoriert wird und dieser dann auch noch vorgeworfen wird, sie habe die Lösungsansätze für ein ihr nicht erklärtes Problem nicht erkannt. «Die Menschen, die dem Goetheanum räumlich näherstehen und zur Abstimmung anreisen konnten, oft mit hohem persönlichen Aufwand aus verschiedenen Ländern, verfügen über spezifische Erfahrungen, die nicht einfach vorschnell als persönliche Aversion diskreditiert werden können…. Es bleibt, wie ich meine, eine der Herausforderungen der Zukunft, die Mitglieder der [Allgemeinen] Anthroposophischen Gesellschaft auf der ganzen Welt über die Entwicklung des Goetheanum in Licht und Schatten genauer zu informieren und ihnen zu ermöglichen, zu einer eigenständigen Urteilsbildung zu kommen.»[3]
  • Mit der Einführung der Amtszeitbeschränkung im Jahr 2011 wurden besonders hehre Ziele formuliert, obwohl in Wirklichkeit etwas ganz anderes verfolgt wurde. So sollten «… die Mitglieder verstärkt in die Verantwortung einbezogen werden» und «Es geht darum, dass wir ein neues soziales Feld entwickeln. Damit ist gemeint, dass die Mitglieder mehr einbezogen werden.» Und weiter: «Gern möchten wir die Zusammenarbeit der Mitglieder mit den Verantwortungsträgern verstärken, sodass die Gesellschaft zum Partner des Vorstands wird und sich nicht als Gegenüber versteht». Diese Äusserungen erwiesen sich schon durch das nachfolgende Verhalten der Leitung als leere Versprechen. Tatsächlich war es ein geradezu taktisches Lügengebäude, denn Paul Mackay gestand 2019 öffentlich ein, dass die Einführung [der Amtszeitbeschränkung] 2011 lediglich eine (mögliche Über-)Reaktion auf den damaligen [2011] Abwahlantrag gewesen sei! Er meinte, eine regelmässige Besinnung auf die Vorstandstätigkeit sei schon notwendig, allerdings ohne die Mitgliedschaft einzubeziehen, denn nur im Kreis der Goetheanum-Leitung und der Konferenz der Generalsekretäre sei eine Beurteilung der Vorstandstätigkeit möglich![4] Hier kann man einerseits ahnen, welche Aufgaben dem neuen Leitungsorgan hätten zukommen sollen. Andererseits sind diese unwahrhaftigen Absichten jetzt bis in die Gesellschaftsverfassung, in die Statuten hinein geronnen. Jegliche Amtszeitverlängerung trägt seitdem diesen Makel einer taktischen Unwahrhaftigkeit. Peter Selg 2018 dazu: «Wenn man, so meine Auffassung, ein solches Mitgliedervotum auch in Zukunft einholen und entscheiden lassen will, so sollte das mit einem detaillierten Rechenschaftsbericht über die bisherige Amtszeit und die persönlich in ihr durchgeführten Arbeiten geschehen sowie mit einer klaren Beschreibung dessen, was in der nächsten Periode die konkreten eigenen Aufgaben sind. … Die Mitglieder sind urteilsfähig, zumindest diejenigen, die die Entwicklung des Goetheanum und der Vorstandsarbeit intensiv verfolgen; man braucht auf die Menschen nicht einzureden und sie von diesem oder jenem zu überzeugen versuchen. Man sollte vielmehr ‹in Ruhe abwarten, was die Mitglieder selber wollen› (Ita Wegman), nachdem man sie hinreichend informiert hat.» Wie treffend.
  • Dem Rat Peter Selgs aus dem Jahr 2018 wurde offensichtlich wenig Bedeutung zugemessen und so die Polarisierung im Sinne einer Spaltung aktiv weiterbetrieben. Durch die Gegenüberstellung der Landesrepräsentanten gegenüber der im Saal anwesenden Mitgliedschaft, entsteht ein unangemessenes Spannungsverhältnis, was gewiss vielfach zur Recht als Polarisierung erlebt wird. Das geschah insbesondere schon 2018 und Peter Selg hatte gewarnt: «Es wurde dadurch ein Spannungsfeld zwischen den Menschen im Saal … und einer fiktiven ‹Welt› erzeugt, ein Spannungsfeld, das in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Alle Tendenzen in Richtung einer kollektiven Meinungsbildung und Funktionärsgesellschaft anstelle einer Mitgliedergesellschaft sind sehr gefährlich. Darin, und nur darin, besteht für mich eine wirkliche Nähe zu 1935.»
  • Die Bestrebungen, die AAG zu einer aristokratisch geführten Funktionärsgesellschaft zu entwickeln, sind seit Jahrzehnten unübersehbar – wenn man sie sehen will. Wenn man die letzten Ergebnisse der Mitgliederversammlungen in der Schweiz und in Deutschland zugrunde legt, kann sich z.B. Marc Desaules zwar auf eine 100%ige Zustimmung bei der Entlastung stützen, es waren jedoch nun 130 Mitglieder anwesend – gegenüber fast 400 noch 2018. Prozentual mit 97% nur unmassgeblich schlechter war das Ergebnis für Michael Schmock, bei lediglich 99 abgegeben Stimmen! Es war die letzte Versammlung vor Corona 2019. Will man wirklich behaupten, dass diese beiden Generalsekretäre die gesamten Landesgesellschaften repräsentieren? Hat Peter Selg nicht völlig Recht, wenn er von einer ‹fiktiven Welt› schrieb? Man vergegenwärtige sich: Nur 70-80 Mitglieder der Weltgesellschaft nutzten die Möglichkeit der Live-Online-Teilnahme. Peter Selg weiter: «Ich fragte mich auch, wen die Generalsekretäre und Landesvertreter dabei eigentlich vertreten. Können sie wirklich behaupten, für alle Mitglieder in ihrem Land zu sprechen? Ich kenne durch meine internationale Tätigkeit Anthroposophen in sehr vielen Ländern, darunter Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft, die ganz anders denken als ihre Generalsekretäre, auch in dieser Frage. Letztlich stehen die Generalsekretäre und Landesvertreter für sich selbst, aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen, die keinesfalls mit den Erlebnissen all ihrer Mitglieder identisch sind.»

Bericht über die Generalversammlung in Deutschland

In der deutschen Landesgesellschaft scheint der Spaltungsprozess bereits weiter fortgeschritten zu sein, offensichtlich hat die Mitgliedschaft aufgegeben, überhaupt noch an der Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse teilhaben zu wollen: An der Mitgliederversammlung 2019 (vor Corona) nahmen gerade noch ca. 100 Mitglieder teil, 2020 waren es noch 50 und 2021 ca. 65. Allein der Vorstand und die Vertreter aus den 11 Arbeitszentren werden in diesen Versammlungen bereits eine überdeutliche Mehrheit gebildet haben, Mitglieder ohne Amt oder Funktion werden kaum anwesend gewesen sein. Insofern ist man in der Leitung weitgehend unter sich. Ist die „Funktionärsgesellschaft“, vor der Peter Selg warnte, in Deutschland bereits Realität? So wurden an der Mitgliederversammlung der AGiD 2020 Monika Elbert, Christine Rüter und Antje Putzke in das Arbeitskollegium (Vorstand) der AGiD gewählt – überwiegend mit den Stimmen der Leitungs-Kollegen.[5]

Unfassbar und erschütternd ist der Bericht von Christine Rüter, die 2022 erstmals an einer Generalversammlung in Dornach teilgenommen hat. Was und wie sie darüber berichtet, ist weitestgehend frei von Tatsächlichkeiten und voll von Unterstellungen gegenüber den Mitgliedern, die an der Generalversammlung teilgenommen und sich für die Gesellschaft und die Weleda-Problematik engagiert hatten.[6] Diese hätten für eine aggressive Stimmung gesorgt, sich nur profilieren wollen und kleinliche Kritik geäussert. Zudem wären alle Anträge abgelehnt worden – (kein einziger Antrag wurde abgelehnt, zum Antrag zur Weleda gab es nicht einmal eine einzige Gegenstimme und der Antrag zum Landesvertreterorgan wurde lediglich vertagt!). Was Christine Rüter schreibt erfüllt die Kriterien unseriösen Journalismus, so, wie sie in einer im Auftrag der AGiD erstellten Studie formuliert wurden («Vorsicht vor unseriösen Quellen»):[7]

  • Keine sachgerechte Trennung von Tatsachen und Meinung.
  • Eine einseitige Selektion der Inhalte.
  • Das Verschweigen von ansehensrelevanten Tatsachen.
  • Keine Konfrontation der angegriffenen Institution.
  • Fragwürdige Tatsachenbehauptungen.

Überzeugen Sie sich selbst.

Ist die Weltgesellschaft eine Realität?

Wenn Christine Rüter nun meint, man solle die Generalversammlungen an anderen Orten mit Online-Abstimmungsmöglichkeiten stattfinden lassen, damit nicht die ihrer Ansicht nach aggressiven Dornacher Mitglieder in der Überzahl sind, so ist allerdings fraglich, ob ihr das wirklich weiterhelfen würde: Aus der Weltgesellschaft (ca. 42.000 Mitglieder) haben sich weniger als 100 Mitglieder an der GV online zugeschaltet und an der fakultativen Abstimmung wurden online gerade einmal ca. 60 Stimmen abgegeben. Wie kann man angesichts dieser Realität noch von einer ‹Weltgesellschaft› sprechen? Ganz offensichtlich fühlt sich nur noch eine verschwindend geringe Zahl von Mitgliedern für die Gesellschaftsangelegenheiten verantwortlich – und ausgerechnet diese werden dann auch noch verunglimpft!

Das geschwundene Interesse an der Gesellschaft zeigte sich auch aufgrund einer Einladung zu einem runden Tisch (AWW 11/21). Angesprochen werden sollten Mitglieder, die sich aus Enttäuschung oder anderen Gründen von der Gesellschaft zurückgezogen haben. Die Initiatoren fragten: «Wir, die wir uns nicht zurückzogen haben, blieben wir bloß mit einem ‹Trotzdem›? Haben wir – so wir noch unseren Zweig besuchen – doch ein lokales Zuhause gefunden? Traten wir nicht alle mit den größten Idealen an? Wollten wir nicht am Kulturauftrag der Anthroposophischen Gesellschaft mitarbeiten? Im Lichte der vorgeburtlichen Entschlüsse fällt das Erreichte wohl immer etwas kläglicher aus. Sind wir tatsächlich angesichts der unerbittlichen Macht des Faktischen eingeknickt? Machen wir unsere Zweige zu ‹Auslaufmodellen›? … Wie wollen wir unsere Anthroposophische Gesellschaft dem näherbringen, was wir einst suchten?»

Dieser Runde Tisch fand Mitte März 2022 statt, mit gerade einmal 25 Teilnehmern, wovon etliche zu den Initiatoren und deren Umfeld gehört haben werden. Nicht besonders ermutigend. Auch dazu ist auf den Internetseiten der AGiD ein Bericht erschienen, der einen Einblick in die Gesellschaftssituation erlaubt (aus dem Bericht von Anke Steinmetz[8]): «Was mich als Mitarbeiterin in der Vorbereitungsgruppe irritierte, war die Vorstellung einiger Anwesenden nach dem weiteren Vorgehen. Plädoyers wurden gehalten zu Erwartungen und Forderungen zum Beispiel an die Leitung des Goetheanum, oder darüber, was unter wissenschaftlicher Arbeit zu verstehen sei. Es wurde auf das zurückgegriffen, was in früheren Zeiten doch funktioniert hatte, beispielsweise große Persönlichkeiten und Referierende einladen, selbst mehr Führung von oben wurde gefordert… anderen in der Runde schien dabei der Atem zu stocken. Sie waren mit der Frage beschäftigt: Wie kann ich selbst in meinem Handeln besser den Aufgaben entsprechen, die sich uns stellen? Was muss ich tun, um mehr Interesse an dem anderen hervorbringen zu können? Wie kann ich etwas dazu beitragen, dass reales Geisterleben in unseren Arbeitsgruppen lebt? Welche Verantwortungs- und Organisationsform ist in der heutigen Zeit fruchtbar und wie kann ich an diesen Veränderungen konstruktiv mitwirken? Die einen hatten Fragen, die anderen Antworten, aber die Antworten schienen nicht auf die Fragen zu resonieren. Es war, als kämen sie aus einer Vergangenheit und wollten anderen sagen, wie sie dieses oder jenes zu machen hätten, damit alles besser werde. Diese Haltung entzog uns allen meiner Beobachtung nach etwas den Boden für unsere ursprüngliche Intention von einer Selbstertüchtigung und von Eigenverantwortung an unserem Platz.»

So leben durchaus wichtige und entscheidende Fragen in der Gesellschaft – das Ergebnis dieses Runden Tisches ist jedoch nicht sehr ermutigend, um den Kulturauftrag einer anthroposophisch sein wollenden Gesellschaft erfüllen zu können, weder quantitativ noch qualitativ. Hat diese Gesellschaft überhaupt noch eine Zukunft, so muss man sich realistischer Weise fragen – ausgerechnet jetzt, zur unmittelbar bevorstehenden säkularen Wiederkehr der Weihnachtstagung?

Thomas Heck, 1. Juni 2022

Anhang

Geschäftsordnungsantrag zum Antrag 1 „Konferenz der Landesvertreter“, Thomas Heck

«Ich möchte gerne vorausschicken an die Adresse des Vorstandes, die Generalsekretäre und Landesvertreter: ich habe weder gegen irgendjemanden persönlich etwas, weil ich jetzt hier spreche. Und ich habe auch nichts gegen die Gremien, die sich gebildet haben. Eigentlich habe ich nur etwas „dafür“, dass dies alles ordentlich in unserer Gesellschaft gehen kann.

Es war an dieser Generalversammlung schon von Globalisierung die Rede, dass die Gesellschaft immer internationaler wird und immer weniger deutschsprachig. Wenn man in die Welt schaut, dann haben wir doch heute sehr viele Probleme, gerade mit der Globalisierung und wir haben eine allgemeine Tendenz, dass Souveränitätsrechte und nationale Rechte immer weiter von den Ländern an supranationale Organisationen übertragen werden. Wer am Zeitgeschehen einigermaßen teilnimmt wird wissen, was ich meine. Wenn heute zum Beispiel die WHO eine Pandemie ausruft, dann geht das unmittelbar durch, auch in die Schweiz, in das Schweizer Recht, wo dann der Staat handeln muss. Diese Entwicklungen sind eine eindeutige Tendenz. Und diese Tendenz geht ja weiter, bis in die in die Fragen des Impfens und vieles mehr.

Mein Eindruck ist, dass es ein falsches Signal wäre, wenn auch wir einen solchen Schritt tun und die Gesellschaftsleitung um ein Organ ergänzen. Ich möchte daran erinnern: Wir haben auch das Organ der Goetheanum-Leitung, ein Organ, das in den Statuten nicht definiert ist. Es ist dort nicht festgelegt, wie das Organ zustande kommt und die Goetheanum-Leitung ist auch der Mitgliedschaft gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Im Grunde ist das genau die gleiche Tendenz (auch bei dem Landesvertreter-Organ). Müsste man da nicht erst einmal genau hinschauen und klären, warum das so ist? Warum steht die Goetheanum-Leitung nicht als Organ in den Statuten? Und mit dem Organ der Generalsekretäre und Landesvertreter wäre das ganz ähnlich. Es würde zwar definiert, es steht aber nicht in den Statuten, wie dieses Organ zustande kommt. Und dieses Organ wäre der Mitgliedschaft gegenüber nicht rechenschaftspflichtig.

Ich habe nichts dagegen, dass dieses Organ gebildet wird, ich meine nur, dass die ganze Beratung und Auseinandersetzung mit der Mitgliedschaft zu kurz gekommen ist. Und eigentlich bräuchte es in unserer Gesellschaft die Geste – und das wäre auch ein Vorbild für das, was in der Welt notwendig ist –  dass es ein Mitgliederorgan gibt. Ein Organ, das sich aus der Mitgliedschaft bildet und auf Augenhöhe mit dem Vorstand und der Goetheanum-Leitung, also mit den Gremien, die die Gesellschaft leiten, verhandeln kann, sich austauschen kann. Das müsste nach meinem Verständnis aus der Mitgliedschaft, aus einer Initiative der Mitgliedschaft und nicht vom Vorstand ausgehend gebildet werden.

Nun würde ich diesem Vorschlag für das neue Organ ungerne zustimmen, ich möchte aber auch nicht dagegen stimmen. Und ich will mich eigentlich auch nicht enthalten. Denn ich glaube, wir brauchen diesen Zugriff  bis in die Statuten.

Mein Vorschlag ist: Lassen Sie uns das verschieben. Die Organe und die Arbeitszusammenhänge, die da sind, die können weiter arbeiten und werden durch diesen Beschluss, der jetzt gefasst werden soll weder begünstigt noch behindert, wenn er nicht gefasst wird. Aber lassen Sie uns doch noch ein Jahr Zeit, oder auch länger Zeit nehmen, dass das bewegt werden kann. Dazu möchte ich nun den Geschäftsordnungsantrag stellen, dass der Antrag des Vorstandes auf unbestimmte Zeit vertagt wird. Ich würde auch nicht sagen, wir treten gar nicht ein, nicht dass der Antrag weg ist. Aber lassen Sie uns ihn vertagen – und auch nicht vergessen. Das wird dann ihre Aufgabe sein. Vielen Dank.»

Am Sonntag, 12. April 2022, Marjatta van Boeschoten

«Ich stehe hier, weil ich von gestern sehr besorgt bin und zwar, weil ich zwei ganz verschiedene Bilder in mir trage. Gestern vor dem Mittag waren viele von Euch in kleinen Gruppen (Arbeitsgruppen) und ich war mit meinem Kollegen aus den USA, John Bloom, zusammen in einem Büro und wir haben mit der Englisch sprechenden Welt online gesprochen. Das war zum ersten Mal, dass das möglich war in einer Generalversammlung. Und sie konnten auch zuschauen, was hier im Saal vorging. Wir haben 1 ¼ Viertelstunden gesprochen. Sie kamen aus Japan, Australien, Russland, Rumänien, viele EU-Länder und sie haben so rührend mit so viel Dankbarkeit gesprochen, dass sie hier angeschlossen sein können. Dass sie mit uns in diesem Saal endlich mitmachen können. Ich war wirklich überrascht, und ich habe zuletzt gesagt, als wir uns verabschiedeten, wie ich mich freue, diese neue Beziehung machen zu können und würde das im Herzen tragen durch den Rest dieser Generalversammlung und gestern Nachmittag natürlich auch. Ich hatte dieses Bild in mir.

Dann hat Justus Wittich beschrieben, wie wir, die Generalsekretäre, zusammen mit dem Vorstand ein neues Organ machen möchten, das, was wir schon lange gemacht haben, das würde jetzt offiziell werden. Und dann kam so ein Widerstand, den die ganzen Leute und die Welt gesehen haben. Und in dieses Gespräch hinein ist eine Beziehung gemacht worden zwischen dem, was wir als Generalsekretäre mit unseren Kollegen hier im Goetheanum machen möchten und der WHO. Und ich weiß nicht, ob sie gespürt haben, was ich gespürt habe, ob ich es mir eingebildet habe. Mit diesen Worten kam ein Virus von Furcht durch den ganzen Saal. Eine ganz andere Stimmung ging von dem aus, als was wir als Generalsekretäre zusammen mit unseren Kollegen einbringen wollten. – Es ging nicht. Im Englischen würde man sagen: It got kicked into the long grass, ins lange Gras, wo man es nicht mehr finden kann. Niemand hat gesagt: Interessante Sache, gute Idee. Das kann man machen, ja, es gibt Probleme, wir müssen darüber denken. Aber es soll weiter (gehen). Das war für mich und ich glaube auch für meine Kollegen war das sehr schmerzhaft. Wir kommen aus Ländern, die auch hierher gehören, genau wie Sie (im Saal) fühlen, dass sie dazugehören. Nur können Sie nicht die Reise machen. Aber sie haben Plätze hier. Und wir wollen das aufmachen, dass sie jetzt zuhören können, sehen können und mitmachen können. Und ich fühle, wir haben hier zwei verschiedene Welten. Und wenn wir Gesellschaft wollen, wenn wir in die Zukunft sehen wollen, in die nächsten 100 Jahre, ist das ein Problem. Das muss aufgenommen und gelöst sein.»

Langer Beifall folgte, Matthias Girke, am Rednerpult, klatschte lange nach und sagte: «Ganz herzlichen Dank, Marjatta für diesen sehr wichtigen und ich glaube auch zukunftsweisenden Beitrag von Dir.»

Das Interesse der Mitglieder aus der Welt kam in der Online-Beteiligung deutlich zum Ausdruck: Im deutschsprachigen Online-Kanal nahmen max. 60 – 80 Zuschauer insgesamt teil, im englischsprachigen deutlich und im spanischen Kanal noch weniger. Ins Französische wurde gar nicht übersetzt. An den Abstimmungen nahmen weltweit gerade einmal 50 bzw. 60 Mitglieder online teil.

In einem Beitrag von 2018 hatte Peter Selg die Frage gestellt, wen die Generalsekretäre und Landesvertreter eigentlich vertreten. Wenn man die Beteiligung an Mitgliederversammlung zugrunde legt – und dort wird ja über die Besetzungen abgestimmt. An der deutschen Mitgliederversammlung (insgesamt ca. 12.500 Mitgliedern, 30% der Gesamtmitgliedschaft) nahmen 2016 noch 200 Mitglieder teil, 2017 waren es 150, 2018 und 2019 jeweils 100. Das sind 0,8 – 1,6 % der deutschen Mitglieder, die die jeweilige Gesellschaftsleitung bestätigen.

[1] Siehe: https://wtg-99.com/papierkorbentwurf99.

[2] Justus Wittich in AWW 7-8/21.

[3] Anthroposophie weltweit 5/18.

[4] Nur im Internet: https://www.goetheanum.org/fileadmin/kommunikation/GV_2019_Antraege.pdf (letzter Zugriff: 1. Juni. 2022).

[5] https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/blog/zur-mitgliederversammlung-der-deutschen-landesgesellschaft

[6] https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/blog/ist-die-weltgesellschaft-regional-oder-global

[7] https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/blog/vorsicht-vor-unprofessionellen-quellen

[8] https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/blog/grosser-runder-tisch. Hervorhebung TH.

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