Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Rudolf Steiner zur Ansteckung u.a. bei viralen Erkrankungen

Aus „Die Hygiene als soziale Frage“[1]

Nun möchte ich nicht missverstanden werden; ich möchte dahin nicht missverstanden werden, dass ich in diesem Vortrage, der ja gewidmet sein soll dem Thema «Die Hygiene als soziale Frage», für irgendetwas besonders Stellung nehme. Ich möchte gewissermaßen dasjenige, was heute vom Parteistandpunkte aus oder vom Standpunkte einer gewissen wissenschaftlichen Überzeugung aus einseitig behandelt zu werden pflegt, das möchte ich nicht einseitig behandeln. Ich möchte — vielleicht gestatten Sie dieses scheinbare Herausfallen aus der Rolle in der Einleitung —, ich möchte weder irgendwelche Partei nehmen für den alten Aberglauben, dass Teufel und Dämonen herumgehen als Krankheiten und in die Menschen aus- und einziehen, noch möchte ich Partei nehmen für den modernen Aberglauben, dass die Bazillen und Bakterien in den Menschen einziehen und ausziehen und die Krankheiten bewirken. Ob man es zu tun hat mit einem spiritistischen, spirituellen Aberglauben von alt her, ob mit einem materialistischen Aberglauben, das mag uns heute weniger beschäftigen.

Der Regen kommt, wenn die Frösche quaken …[2]

Derjenige, der behauptet, dass von den kleinen Lebewesen die Krankheiten kommen, der zum Beispiel sagt: die Grippe kommt von dem Grippebazillus und so weiter, der ist natürlich geradeso gescheit, als wenn einer sagt, der Regen kommt von den Fröschen, die quaken. Natürlich, wenn der Regen kommt, quaken die Frösche, weil sie es spüren, weil sie ja in dem Wasser sind, das angeregt ist durch dasjenige, was den Regen bewirkt. Aber die Frösche bringen nicht den Regen. Ebenso bringen die Bazillen nicht die Grippe; aber sie sind da, wo die Grippe ist, geradeso wie die Frösche auf eine unerklärliche Weise hervorkommen. wenn der Regen kommt.

Also man darf nicht auf der einen Seite sagen, dass einem die Bazillenuntersuchung nichts nützt. Sie nützt einem so viel, dass man weiß, dass der Mensch der Krankheit ausgesetzt ist, wie man weiß, dass die Frösche quaken, wenn es regnet. Also man darf nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und sagen, die Bazillen zu untersuchen sei unnötig. Aber man muss auf der anderen Seite wissen, dass die Bazillen nicht die Krankheit machen. Sonst wird man niemals richtig erklären, wenn man immer nur sagt: Für die Cholera gibt es die Bazillen, für die Grippe gibt es die Bazillen und so weiter. Das ist natürlich nur eine Faulenzerei dafür, dass die Leute die wirklichen Krankheitsursachen nicht untersuchen wollen.

Aus einer Fragenbeantwortung[3]

Wollen Sie sich bitte äußern, wie denn das Entstehen einer Epidemie, wie der Grippe oder des Scharlachs, zustande gekommen ist, wenn nicht durch Übertragung von Bazillen. Bei vielen Krankheiten ist der Krankheitserreger wissenschaftlich festgestellt worden. Wie stellen Sie sich dazu?

  1. Steiner: Nun, wenn ich auch gerade diese Frage, für die ich angedeutet habe, dass ich nicht Partei ergreifen will, erörtern sollte, dann müsste ich einen ganzen Vortrag halten. Allein, ich möchte auf folgendes aufmerksam machen. Derjenige, welcher genötigt ist durch seine Erkenntnisse, darauf aufmerksam zu machen, dass für Krankheiten, in deren Begleitung Bazillen oder Bakterien auftreten, tiefere Ursachen als primäre Ursachen vorhanden sind, als eben das Auftreten der Bazillen, der behauptet ja noch nicht, dass die Bazillen nicht da seien. Es ist durchaus etwas anderes, zu behaupten, die Bazillen sind da und sie treten im Gefolge der Krankheit auf, als die primäre Ursache bei den Bazillen zu suchen. Dasjenige, was nach dieser Richtung zu sagen ist, habe ich gerade bei diesem Kursus, der jetzt gehalten wird, in ausführlicher Weise entwickelt. Aber das nimmt eben durchaus Zeit in Anspruch. Das gilt auch in Bezug auf gewisse Elemente, die vorher behandelt werden müssen. Das lässt sich in einer Fragenbeantwortung nicht rasch abmachen. Dennoch will ich auf das Folgende hinweisen. Es ist diese menschliche Konstitution nicht eine so einfache Sache, wie man sich oftmals vorstellt. Der Mensch ist einmal ein vielgliedriges Wesen. Das habe ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln» im Anfange dargestellt, dass ein Mensch ein dreigliedriges Wesen ist, ein Wesen, das man nennen kann den Sinnes-Nervenmenschen, zweitens den rhythmischen Menschen, drittens den Stoffwechselmenschen. Das ist einmal der Mensch. Und diese drei Glieder der menschlichen Natur wirken ineinander, und sie dürfen nicht, wenn der Mensch gesund sein soll, anders ineinander wirken, als dass in einer gewissen Weise Trennung der Gebiete zugleich da ist. So zum Beispiel darf der Nerven-Sinnesmensch, der mehr ist als dasjenige, was sich die heutige Physiologie vorstellt, nicht ohne weiteres seine Wirkungen auf den Stoffwechselmenschen anders übertragen, als dass diese Wirkungen vermittelt werden durch die rhythmischen Bewegungen der Zirkulations- und Atmungsvorgänge, die ja bis in die äußerste Peripherie des Organismus sich hineinerstrecken. Dieses Zusammenwirken, das kann aber in einer gewissen Weise unterbrochen werden. Nun ist durch dieses Zusammenwirken etwas ganz Bestimmtes bewirkt. Wenn solche Fragen gestellt werden so, verzeihen Sie, dass man dann auch sachgemäß antworten muss; nun will ich ja schon so dezent wie möglich sein, aber es ist dann doch notwendig, manches Wort auszusprechen, das eben auch sachgemäß angehört werden muss. Es ist zum Beispiel durchaus so, dass im menschlichen Unterleib Prozesse ablaufen, welche eingegliedert sind in den ganzen Organismus. Sind sie in den ganzen Organismus eingegliedert, dann wirken sie in der richtigen Weise. Werden sie durch irgendwelche Vorgänge, entweder direkt im Unterleib erhöht, so dass sie dort reger werden, oder werden die einmal entsprechenden Vorgänge — denn solche entsprechende Vorgänge sind immer da — im menschlichen Haupte oder in der menschlichen Lunge in ihrer Intensität kleiner gemacht, dann tritt etwas sehr Eigentümliches ein. Dann zeigt sich, dass der menschliche Organismus zu seinem normalen Leben in sich Prozesse entwickeln muss, die gerade bis zu einem gewissen Maße hin sich nur entwickeln dürfen, damit sie den ganzen Menschen in Anspruch nehmen. Wird der Prozess erhöht, dann lokalisiert er sich, und dann tritt zum Beispiel im Unterleib des Menschen ein Prozess auf, wodurch nicht in der richtigen Weise getrennt ist dasjenige, was im Menschenhaupte oder in der Lunge vor sich geht, und was gewissen Prozessen im Unterleib entspricht. Es entsprechen sich immer die Prozesse so, dass sie einander parallel gehen. Dadurch aber wird gewissermaßen das, was nur bis zu einem gewissen Maße im Menschen vorhanden sein darf, damit es seine Vitalität, die geist- und seelengetragene Vitalität, unterhält, über ein gewisses Niveau hinaufgebracht. Dann wird es die Atmosphäre, möchte ich sagen, für allerlei Niederorganismen, für allerlei kleine Organismen, dann können sich diese kleinen Organismen da entfalten. Dasjenige, was das Schaffenselement der kleinen Organismen ist, das ist immer im Menschen drinnen, ist nur über den ganzen Organismus ausgedehnt. Wird es konzentriert, dann ist es Lebensboden für Kleinorganismen, Mikroben; da finden sie einen Boden drin. Aber die Ursache, warum sie da gedeihen können, die ist in überaus feinen Vorgängen im Organismus, die sich dann als das Primäre herausstellen, zu suchen. Ich spreche wirklich nicht aus einer Antipathie gegen die Bazillen-Theorie. Ich verstehe durchaus die Gründe, die die Leute haben, die dem Bazillen-Glauben huldigen. Das können Sie mir glauben, dass ich, wenn ich nicht aus sachlichen Gründen so sprechen müsste, wie ich jetzt spreche, ich diese Gründe schon anerkennen würde, aber es ist eben hier die Erkenntnis, die notwendig zur Anerkennung von etwas anderem führt, und die einen dann zwingt, zu sagen: Ich sehe eine gewisse Landschaft, da sind sehr viele außerordentlich schöne Rinder, wohl gepflegt. Ich frage nun: Warum sind denn da gewisse Lebens-Verhältnisse in der Gegend? Sie kommen von den schönen Rindern. Ich erkläre die Lebensverhältnisse dieser Gegend, indem ich erkläre, es sind schöne Rinder eingezogen von irgendwoher, die haben sich da ausgebreitet. — Das werde ich nicht tun, nicht wahr, sondern ich werde untersuchen die primären Ursachen, den Fleiß und das Verständnis der Leute, und das wird mir erklären, warum auf diesem Boden diese schönen Rinder sich entwickeln. Aber ich würde eine oberflächliche Erklärung abgeben, wenn ich bloß sagen würde: Hier ist es schön, hier lebt es sich gut, weil da schöne Rinder eingezogen sind.

Die gleiche Logik ist es im Grunde, wenn ich den Typhusbazillus finde und dann finde, man habe den Typhus aus dem Grunde, weil die Typhusbazillen eingezogen sind. Zur Erklärung des Typhus sind noch ganz andere Dinge notwendig als bloß das Sich-auf-die- Typhusbazillen-Berufen. Aber man wird noch auf eine ganz andere Weise irregeführt, wenn man sich einer solchen falschen Logik hingibt. Gewiss, die primären Prozesse, die den Typhusbazillen die Grundlage für ihr Dasein abgeben, die sind dann Grundlage für den Typhusbazillus, bewirken wiederum alles Mögliche andere, was nicht primär ist. Und man kann sehr leicht dasjenige, was sekundär ist, mit dem eigentlichen ursprünglichen Krankheitsbilde entweder ganz verwechseln oder damit konfundieren. Das sind diese Dinge, die hier auf diesem Punkte zu dem Richtigen führen, oder die zeigen, wie dasjenige, was in einem gewissen Sinne berechtigt ist, in seine Grenzen zu weisen ist.

Vielleicht sehen Sie doch aus der Art und Weise, wie ich diese Antwort gegeben habe — obwohl ich ja nur skizzieren kann, daher leicht missverstanden werden kann —, dass es sich hier wirklich nicht handelt um das allbeliebte Schimpfen auf die Bazillen-Theorie, sondern dass es sich hier wirklich darum handelt, die Dinge ganz ernsthaftig zu untersuchen.“

Zusammengestellt von Thomas Heck,

Dornach 27. Februar 2021 

[1]  GA 314, 7. April 1920 

[2]  GA 348, Arbeitervorträge, S. 141 

[3]  GA 314, 1991, Seite 254.

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