Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Noch in der Nacht nach der Behandlung des Antrages 8 an der Mitgliederversammlung ergab sich eine Korrespondenz zwischen einem Mitglied und Justus Wittich bzw. Ueli Hurter – ich selber war daran nicht aktiv beteiligt. Es ging um die Frage,  inwieweit es rechtmässig war, die Vorstellung des Antrages 8 zu verweigern. Ueli Hurter bezog sich dabei in seiner Ansicht auf Regeln für eine Gemeindeversammlung und sah es als rechtmässig an. Anders geht es aus Regelungen für Vereine hervor. Auf diesen Mail-Verkehr bezieht sich dieser Leitfaden für Vereine  sowie dieser Leitfaden für Gemeindeversammlungen.

Da es auch mir nicht rechtmässig erschien, die Versammlung über den Antrag 8 im Unklaren zu lassen und dennoch einen Ordnungsantrag auf Nichteintreten abstimmen zu lassen (zur Erinnerung: Die Antragsbegründungen waren nicht in AWW veröffentlicht worden und lagen auch nicht an der Versammlung aus!), haben wir einen Fachjuristen um seine Einschätzung gebeten, woraus nachfolgend berichtet wird. Es handelt sich um einen in Dornach ansässigen Fachanwalt für Vereinsrecht – der u.a. zum Vereinsrecht Vorlesungen an der Uni in Basel hält.

Der Fall zum Antrag 8 war für den Anwalt sonnenklar: Da es sich um einen Mitgliederantrag handelte, wäre den Antragstellern vor der Abstimmung des Ordnungsantrages zwingend das Wort einzuräumen gewesen, um den Antrag vorzustellen und zu begründen, zur Orientierung der Versammlung, worüber abgestimmt werden sollte. Das ist nicht geschehen. Deutlich ist auch, dass Ueli Hurter bewusst war, dass nach der Abstimmung des Ordnungsantrages noch der geänderte Antrag existierte, der von dem Ordnungsantrag nicht betroffen war! Und es gab ausserdem noch einen Gegenordnungsantrag! Darauf wies Ueli Hurter auch hin und kündigte an, nach der Pause darauf zurückzukommen. Allerdings wurde das Zurückkommen nach der Pause auf den Sonntag verschoben. Das geschah am Sonntag zunächst nicht, erst aufgrund von Interventionen durch Mitglieder kam Ueli Hurter darauf zurück. Mit Hinweis auf die knappe Zeit – wurde dann von ihm dazu eine Entscheidung der Versammlung abgefragt – und wiederum war diese nicht orientiert worden darüber, dass noch der geänderte Antrag und ein Gegenordnungsantrag vorlagen.

Ganz gleich, wie man die Tatsache einschätzt, dass am Samstag

  • der Antrag, die Nichteintretensanträge inkl. Abstimmung innerhalb von sage und schreibe weniger als 5 Minuten abgehandelt – oder besser: abgefertigt? – wurden, ohne dass die Versammlung gehörig informiert wurde,
  • und entgegen der Vereinbarung, dass die Verhandlung von Ordnungsanträgen von Harald Jäckel und nicht von Vorstandsmitgliedern – die in der Sache Partei sind – durchgeführt werden sollte, dies durch Ueli Hurter erfolgte,

ist erneut deutlich geworden: Über die Fragen von Legitimierung und Rechenschaft der Goetheanum-Leitung will man nicht ergebnisoffen und auf Augenhöhe ins Gespräch kommen – obwohl das Thema bereits seit 2019 an GVs eingebracht wurde.

Das Beispiel der von Ueli Hurter in der nächtlichen Korrespondenz vorgebrachten Regelungen für eine Gemeindeversammlung (Anhang) ist für Vereine nicht passend, da es dort um ein Geschäft geht, das allen Beteiligten vollständig bekannt ist bzw. man sich vorgängig vollständig informieren kann. Nur in einem solchen Fall kann beschlossen werden, auch in die Vorstellung des Geschäftes nicht einzutreten.

Der Antrag 0 war nicht bezogen auf ein Traktandum der Tagesordnung – der Bericht von der Arbeit kann nicht als Traktandum zählen und war auch nicht in die Tagesordnung aufgenommen, sondern ein Punkt im Rahmenprogramm (siehe AWW 3/24). Ansonsten macht die Unterscheidung zwischen Tagesordnung und Programm keinen Sinn. Hinzu kommt, dass lediglich ein Bericht angekündigt war, nicht eine Beschlussfassung. Insofern hätte dieser Antrag mit 6-Wochen-Frist veröffentlicht werden müssen. Es ist ja der Sinn dieser Frist, dass die Mitglieder sich vorbereiten können! Dies wurde durch das Vorgehen im Grunde unterlaufen. Hinzu kommt, dass der Antrag 0 nach §8 der Statuten gar nicht abstimmungsfähig war in der ursprünglichen Form.

Das Vereinsrecht ist eindeutig, in Artikel 67, 2 ZGB heisst es: «… Über Gegenstände, die nicht gehörig angekündigt sind, darf ein Beschluss nur dann gefasst werden, wenn die Statuten es ausdrücklich gestatten.» Dieser Antrag war nicht ordnungsgemäss in der Tagesordnung traktandiert worden und eine Abstimmung hätte demnach gar nicht erfolgen dürfen.

Hinzu kommt, dass auch die übrigen Mitgliederanträge und –anliegen nicht fristgerecht vor der Mitgliederversammlung veröffentlicht wurden – die Frist beträgt 6 Wochen – die Veröffentlich erfolgte – zudem unvollständig – erst 4 Wochen vor der MV – und damit ebenfalls zu spät.

Dies zur Information für den Rückblick am Samstag (11. Mai 2024) im Mitgliederforum als Einschätzung eines Fachjuristen zum Schweizer Vereinsrecht.

Thomas Heck, 10. Mai 2024

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