Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

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Lieber Herr Sijmons,

in Anthroposophie weltweit 5/2018 hatte Peter Selg in Bezug auf die Zäsur geschrieben, dass, wenn man ein solches Mitgliedervotum auch in Zukunft einholen und entscheiden lassen will, so sollte das mit einem detaillierten Rechenschaftsbericht über die bisherige Amtszeit und die persönlich in ihr durchgeführten Arbeiten geschehen sowie mit einer klaren Beschreibung dessen, was in der nächsten Periode die konkreten eigenen Aufgaben sind.“ Ihre Reaktion darauf in  AWW 6/2018: „Das ist ein vernünftiger Gedanke, aber er kommt hier etwas spät…“.

Ihre Antwort überrascht und wirft Fragen auf. Ist denn niemand in den Leitungsgremien (Vorstand, Goetheanum-Leitung, Generalsekretäre und Landesvertreter) auf die Idee gekommen, dass ein Rechenschaftsbericht für die Mitgliedschaft erforderlich und angemessen wäre? Ist es wirklich notwendig, Sie alle darauf hinzuweisen, angesichts der Tatsache, dass überall, wo abgestimmt wird, die Menschen mehr oder weniger umfänglich informiert werden, damit sie urteilsfähig sind? Die Voten – auch von Ihnen – man möge die Amtszeitverlängerung bestätigen, weil diese von der Goetheanum-Leitung gewünscht wird, reichten keinesfalls aus. Die offensichtliche Erwartung, man solle ohne jegliche inhaltliche Beteiligung und Information zustimmen, zeigt nicht nur eine Geringschätzung der Mitglieder, sondern entspricht geradezu einer Beleidigung ihres Urteilsvermögens.

Nun beklagen Sie, dass Peter Selgs Hinweis nicht schon im November 2017 erfolgt sei. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass es keinen Rechenschaftsbericht geben wird!

Aber ganz abgesehen davon, dass ein Rechenschaftsbericht und eine wirklich ausführliche Information  eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müssten, ist immer wieder davon die Rede, dass Sie (als Leitungsgremien) sich den Impulsen der Weihnachtstagung verpflichtet fühlen, so auch in Ihrem Beitrag. Nicht nur deshalb müsste Ihnen eigentlich auch der §10 der Statuten der Weihnachtstagung bekannt sein, nach dem die Gesellschaft laut Statuten ihre Aufgaben und Ziele verfolgt: Die Anthroposophische Gesellschaft hält jedes Jahr im Goetheanum eine ordentliche Jahresversammlung ab, in der von dem Vorstande ein vollständiger Rechenschaftsbericht gegeben wird.“

Was soll man nun davon halten, dass durch Ihren Beitrag öffentlich bekannt geworden ist, dass die Notwendigkeit eines Rechenschaftsberichtes niemandem in der Gesellschaftsleitung in den Sinn gekommen zu sein scheint?

Vielleicht wäre es eine gute Idee, für das Treffen im November einen Workshop vorzusehen: „Theorie und Praxis des Rechenschaftsberichtes im Umfeld einer aufgeklärten und entscheidungsfähigen Mitgliedschaft“. Empfehlenswert wäre das Studium der Rechenschaftsberichte, wie sie noch bis in die 90er Jahre durchaus gepflegt wurden. Als Arbeitsmaterial könnten z.B. die Rechenschaftsberichte aus den 70er und 80er Jahren dienen.

2018 war der bisherige Tiefpunkt in dieser Angelegenheit: Gerade einmal 10 Minuten für den Rechenschaftsbericht für den gesamten Vorstand – und die Aussprache dazu wurde vom Versammlungsleiter vergessen! (Anmerkung: Die Entwicklung zu einem immer engeren Zeitkorsett an den Generalversammlungen fällt insbesondere in die Amtszeit von Bodo von Plato und Paul Mackay!)

Sind Sie wirklich der Ansicht, dass Peter Selg Ihnen nicht richtig zugehört hat? Abgesehen von der Frage, ob es für einen Generalsekretär angemessen ist, in derartig polemischer Art und Weise sich über einen Kollegen öffentlich zu äussern, stellt sich doch eher die Frage, ob Sie denn selber immer richtig zugehört bzw. gelesen haben. Das wird in zweifacher Weise deutlich:

Erstens: In Ihrer Laudatio über Paul Mackay erwähnen Sie, dass Sie auch 3 Monate nach der Generalversammlung „sich nicht sicher seien, was die Gegenvoten bei der Zäsur motivierte …“. Haben Sie Ihrerseits vielleicht denjenigen nicht richtig zugehört, die ihre Motive klar und deutlich geäussert haben? Das betrifft doch auch Ihre Kollegen aus dem Kreis der Generalsekretäre und Landesvertreter, bei denen es durchaus auch Bedenken gab. Falls die interne Kommunikation so schlecht ist, dass Sie die Motive der Vorstände der AGiS nicht erfahren haben, so hätten Sie nachfragen können. Aber auch diverse Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, über die u.a. in „Ein Nachrichtenblatt“ berichtet wurde, die gestellten Anträge und nicht zuletzt die Mitgliederbeiträge an der Generalversammlung selber gaben Aufschluss über die Beweggründe, einer Amtszeitverlängerung nicht zuzustimmen. Wen vertreten Sie eigentlich als Generalsekretär? Die Mitglieder offensichtlich nicht, das wurde an der Generalversammlung wieder sehr deutlich, ansonsten hätten Sie sich wohl kundig gemacht und nicht nach 3 Monaten selber kundgetan, dass Sie die Motive immer noch nicht kennen, sich also dafür offensichtlich auch nicht interessieren.

Zweitens: Sie kritisieren weiter:

Es mutet doch als ein ‹Strohmann›-Argument an, als hätte dieser Druck daraus bestanden, dass ich oder eine(r) meiner Kolleg/inn/en behauptet hätten: Eine Nichtbestätigung «wäre das Ende der anthroposophischen Sache in der Welt». Das glaube ich natürlich nicht und habe es auch nicht gesagt, und ich kann mich nicht erinnern, eine(r) der Kolleg/inn/en hätte solches gesagt. Es ist ja auch Unsinn, aber trifft gerade den Punkt, von dem ich glaube – und das mag vielleicht den ganzen Schweizer Vorstand treffen –, Peter Selg hat mir (oder ich glaube doch sagen zu können: dem Gremium der Generalsekretäre in großer Mehrheit) nicht gut zugehört.

Allein der Ton und die Art und Weise, wie Sie sich als Generalsekretär über die Vorstände der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz auslassen, ist an sich schon ausserordentlich peinlich und wäre selbst dann unangemessen und ungehörig, wenn Ihre Kritik berechtigt wäre. Letzteres ist allerdings nicht der Fall, denn Peter Selg hatte folgendes geschrieben:

In dieser Hinsicht [in Bezug auf die Urteilsfähigkeit der Mitglieder] haben mich nicht zuletzt die vehementen Voten einiger Generalsekretäre und Landesvertreter im Verlauf der Debatte betroffen gemacht. Ich verstand, dass sie weiter mit den genannten Kollegen zusammenarbeiten wollen, aus wertschätzenden und freundschaftlichen Gründen, und weil sie ihnen viel verdanken. Für mein Gefühl aber wurden die anwesenden Mitglieder sehr unter Druck gesetzt und der Eindruck erzeugt, eine Nichtbestätigung wäre das Ende der anthroposophischen Sache in der Welt, der Worst Case der anthroposophischen Bewegung.

Was Sie kritisieren, ist nicht behauptet worden! Zumindest haben Sie es bei Ihrem angeblichen Zitat an der notwendigen Sorgfalt mangeln lassen und haben aufgrund dieser unwahren Darstellung Peter Selg sowie seine Kollegen vom Schweizer Landesvorstand weltweit öffentlich an den Pranger gestellt. Ein Versehen? Oder war es Absicht? In jedem Fall ein nicht tolerierbarer Vorgang für einen Repräsentanten einer anthroposophischen Gesellschaft.

Der von Peter Selg geschilderte  Eindruck, dass auf die Mitglieder in der Frage der Zäsur unangemessener – und vor allem argumentationslos und inhaltsleer – Druck aufgebaut wurde, kann nur bestätigt werden. Der unisono vorgetragene Wunsch der allermeisten Funktionäre, dass man weiter zusammen arbeiten wolle, können Sie doch nicht ernsthaft als „klare, vernünftige Gründe“ bezeichnen. Dieser gemeinsame Wunsch war sehr wohl in kollektivistischer Weise zum Ausdruck gebracht worden, dies wurde vor allem noch durch einen Auftritt unterstrichen, bei dem fast alle  Generalsekretäre und Landesvertreter auf die Bühne gingen und sich demonstrativ hinter den Vorstand stellten, um ihren kollektiven Wunsch nach einer weiteren Amtszeit von Bodo von Plato und Paul Mackay zum Ausdruck zu bringen.

Als Mitglieder erfahren wir offensichtlich nicht, was sich hinter den Kulissen abspielt bzw. abgespielt hat. Die gewiss verhaltenen Formulierungen des Schweizer Vorstandes in Anthroposophie weltweit 6/18 lassen erahnen, dass es sich hier nur um die Spitze eines Eisberges einer internen Auseinandersetzung handelt:

„Es hat uns tief betroffen gemacht, in welche Ecke wir im Rahmen eines demokratischen Gemeinwesens im Laufe der Versammlung und im Nachhinein gestellt worden sind. … Der Druck, der sich seither gegenüber dem Schweizer Vorstand aufgebaut hat, dem die Schuld für das Abstimmungsergebnis zugeschoben wurde, ist massiv und entspricht in keiner Weise den wirklichen Geschehnissen.“

Wann treten Sie zurück?

Mit freundlichen Grüssen

Thomas Heck, Dornach, 16. September 2018

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