Vorbemerkung
Der nachfolgende Artikel wurde am 11. September 2017 an die Goetheanum-Leitung geschickt mit der Bitte um Veröffentlichung, die nicht erfolgte. Als einzige schriftliche Reaktion von der Leitung der Gesellschaft antwortete Matthias Girke auf diesen Artikel. Allerdings ohne auch nur auf einen einzigen Punkt einzugehen. Stattdessen berichtete er von seinen Erfahrungen im Umgang mit Konflikten und bat darum, dass man den Vorstand und die Goetheanum-Leitung nicht von ihrer wichtigen Arbeit abhalte. Eine detaillierte Dokumentation dieser und der sich anschliessenden Korrespondenz ist vorgesehen. (3. Juli 2018)
Was können Mitglieder und Gesellschaftsleitung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft voneinander erwarten?
In der letzten Zeit sind zwei bemerkenswerte Erwartungshaltungen seitens Gesellschaftsvertretern gegenüber Mitgliedern formuliert worden, die im Folgenden betrachtet werden sollen.
I. Im Zusammenhang mit der Ausstellungsbroschüre „Rudolf Steiner Bilder“
Zur Erinnerung
Im Rahmen der Ausstellung «Rudolf Steiner Bilder» wurde von der Dokumentation am Goetheanum eine kleine Broschüre herausgegeben. Aus der Einleitung:
„Zu Rudolf Steiners 155. Geburtstag zeigt die Bibliothek am Goetheanum imaginative Begegnungen [mit Rudolf Steiner] in Fotografie, Malerei, Skulptur und Schrift. Dieses Heft versammelt eine Auswahl an Textstellen.“
In dieser Broschüre wurde im Rahmen dieser „imaginativen Begegnungen“ das folgende Zitat von Helmut Zander ohne jeden Kommentar wiedergegeben:
„Leider wissen wir so gut wie nichts über Steiner in seiner Zeit als esoterischer Schüler … Kritiker und Wissenschaftler haben sich auch gefragt, welche psychische Disposition Steiner besass, ob er, polemisch gefragt, ›geisteskrank‹ war oder, seriöser, an Schizophrenie litt. Aber neuere psycho-medizinische Überlegungen dazu fehlen. Oder nahm er vielleicht doch Drogen? Mit dem Schnupftabak, den er liebte, könnte er auch Kokain, den ›Schnee‹ wie es in seinen Briefen heisst, zu sich genommen haben, vielleicht bewusst, vielleicht auch ohne es zu wissen. Halluzinogene Mittel mögen, wenn er sie denn nahm, einzelne Erfahrungen erklären, aber seine Beschäftigung mit meditativen Techniken über zweieinhalb Jahrzehnte geht darin nicht auf. Steiner bleibt uns als esoterischer Schüler weitgehend verborgen. Sehr viel mehr wissen wir über den Lehrer Steiner.“
Stephen E. Usher, ein Mitglied aus USA, war der Ansicht, dass ein solches Zitat nicht unkommentiert vom Goetheanum verbreitet werden sollte und äusserte sich dazu schriftlich in „Deepening Anthroposophy“[1] und in „Ein Nachrichtenblatt“[2]. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung die darauf folgte, bezog Justus Wittich Stellung und schrieb[3]:
„Dagegen bin ich der Auffassung, dass es eine angemessene Verhaltensweise wäre, wenn ein Mitglied einen tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler am oder im Goetheanum wahrnimmt, es dann zuallererst die Pflicht hätte, die Verantwortlichen direkt darauf hinzuweisen oder mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“
Der wesentliche Aspekt dieser Äusserung liegt darin, dass Stephen E. Usher sich (den Verantwortlichen gegenüber) „unangemessenen“ verhalten habe. In dem gleichen Artikel wurde Stephen E. Usher unterstellt:
„Bis zu seiner Abreise hatte er unter anderem zwei Gespräche mit Mitgliedern der Goetheanum-Leitung, erwähnte seine Empörung aber mit keinem Wort.“
Tatsächlich hatte Stephen E. Usher in dem Artikel, auf den sich Justus Wittich bezieht, geschrieben:
„Am Ende eines erfreulichen Besuchs am Goetheanum vom 19. – 25. September 2016, traf ich auf eine kleine Broschüre mit dem Titel ‹Rudolf Steiner Bilder›. …“
Bei aufmerksamerem Lesen hätte Justus Wittich auffallen können, dass Stephen E. Usher seine Empörung keineswegs mit Absicht zurückgehalten hatte, sondern auf die Broschüre erst kurz vor seiner Abreise, also nach den Gesprächen, aufmerksam geworden ist. So steht eine leichtfertige Diskreditierung eines Mitgliedes im Raum, die weltweit verbreitet wurde. Über den Hintergrund des Vorganges konnten sich nur die Leser von „Ein Nachrichtenblatt“ ein Bild machen, die Leser von „Anthroposophie weltweit“ erfuhren davon zunächst nichts. Stephen E. Ushers vermeintliches Vorgehen bewertet Justus Wittich wie folgt:
„Dies bewusst nicht zu tun [zunächst die Verantwortlichen anzusprechen], sondern das Goetheanum beziehungsweise einzelne Verantwortliche ohne Prüfung des Zusammenhangs per E-Mail-Verteiler und elektronischer Medien weltweit innerhalb von Mitgliederkreisen und darüber hinaus an den Pranger zu stellen, hat meiner Auffassung nach erheblich mehr Schaden für das Goetheanum erzeugt als das oben dargestellte tatsächliche Versäumnis.
Aber geschah nicht durch ein Mitglied des Vorstandes genau das, was Stephen E. Usher vorgeworfen wurde? Und das in weitaus grösserem Umfang: allein die deutsche Ausgabe von „Anthroposophie weltweit“ hat nach Auskunft der Redaktion eine Auflage von ca. 20.000 Stück! Offensichtlich ohne den Beitrag genau gelesen zu haben, ohne auf die genannten Kritikpunkte einzugehen und offensichtlich ohne abzuklären, ob sein Verdacht zutrifft, wurde durch Justus Wittich, Mitglied des Vorstandes, Stephen E. Usher weltweit vor der gesamten Mitgliedschaft „an den Pranger“ gestellt. Einer Mitgliedschaft, die nicht in der Lage war, sich selbst ein Urteil zu bilden, da alle bisherigen Veröffentlichungen an anderem Ort erfolgt waren. Wäre es nicht richtiger und sachgerechter gewesen, wenn Justus Wittich – gemessen an seinem eigenen Anspruch – seine Reaktion genau dort veröffentlicht hätte, wo die Diskussion entstanden ist: in „Ein Nachrichtenblatt“? Im Sinne eines Gespräches macht es einfach keinen Sinn, wenn an verschiedenen Orten gesprochen wird.[4] Möglicherweise hätte die Redaktion von „Ein Nachrichtenblatt“ ihn auch noch auf seinen eigentlich peinlichen Fehler (Stephen E. Usher habe seine Empörung absichtlich zurückgehalten) vor der Veröffentlichung hingewiesen und damit eine Korrektur ermöglicht, was die Redaktion von „Anthroposophie weltweit“ nicht geleistet hat.
Stephen E. Usher begründete sein Vorgehen wie folgt[5]:
„Ich habe meine Bedenken aus zwei Gründen zuerst direkt vor die Mitgliedschaft getragen: erstens wegen des gravierenden Ernstes dessen, was das Goetheanum tut, und zweitens, weil ich erkannt hatte, dass aufgrund der am Goetheanum vorherrschenden Kultur die Leitung alles unternehmen würde, zu verhindern, dass meine Bedenken von einer breiteren Öffentlichkeit gehört werden können.“[6]
Tatsächlich bestätigte Justus Wittich durch sein Verhalten die Vermutung Stephen E. Ushers, indem er den Lesern von „Anthroposophie weltweit“ nur seine Sicht darstellte, den Mitgliedern die Urteilsgrundlagen in Form der vorausgegangenen Korrespondenz, die in „Ein Nachrichtenblatt“erschienen war, jedoch vorenthielt.
Ein weiterer Aspekt aus Justus Wittichs Artikel:
„Eine Reihe von Mitgliedern machte sich in der Nachfolge die Sichtweise von Stephen E. Usher zu eigen und griffen zur Feder – sowohl öffentlich im Blatt Roland Tüschers[7] wie auch in empörten Briefen an den Vorstand des Goetheanum.“
Damit unterstellt Justus Wittich den Mitgliedern, sie hätten, anstatt sich selber ein Urteil zu bilden, die Sichtweise Stephen E. Ushers „zu Eigen gemacht“. Wie kommt Justus Wittich dazu, den Mitgliedern derartiges zu unterstellen? Dankbar, auf den Vorgang aufmerksam gemacht worden zu sein, habe ich persönlich mir mein Urteil zu der Angelegenheit selber gebildet. Als Leser von „Ein Nachrichtenblatt“ war ich dazu in der Lage. Wer ausschliesslich „Anthroposophie weltweit“ gelesen hatte, konnte, wie bereits ausgeführt wurde, zu einem selbständigen Urteil aufgrund fehlender Grundlagen nicht kommen, er hätte sich zu diesem Zeitpunkt[8] lediglich die Ansicht von Justus Wittich zu Eigen machen können. Hätte man hier als Mitglied nicht von einem Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft erwarten können, dass durch eine umfassende und nicht-selektive Information die Voraussetzungen für eine eigenständige Urteilsbildung geschaffen werden?
Am Schluss seines Artikels schrieb Justus Wittich:
Wenn sich aber hinter dieser Auseinandersetzung ein Unverständnis oder eine Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Kurs des Goetheanum oder der Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft verbirgt, so sollten wir darüber offen innerhalb der Mitgliedschaft ins Gespräch[9] kommen.
Eine irritierende Frage. Ist sie nur rhetorisch gemeint? Es war doch bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass Stephen E. Usher sowie eine Reihe weiterer Mitglieder, es offensichtlich nicht in der Aufgabe des Goetheanums liegend sehen, derartige Zitate, wie das hier beanstandete von Helmut Zander, unkommentiert, noch dazu zum 155. Geburtstag von Rudolf Steiner, zu veröffentlichen. Es lag also erkennbar ein Unverständnis oder eine Unzufriedenheit im von Justus Wittich formulierten Sinn vor. Was hätte noch geschehen müssen, damit er auf das bereits begonnene Gespräch9, das er selber wünscht, eingegangen wäre?
Ist nicht durch die ungerechtfertigte und nicht zurückgenommene Diskreditierung eines Mitgliedes durch ein Vorstandsmitglied zumindest moralisch ein erheblicher Schaden entstanden? Hätte man als Mitglied nicht eine Richtigstellung und Entschuldigung von Justus Wittich erwarten können?
II. „Kritik sollte organisch sein“?
In „Anthroposophie weltweit“ 6/17 ist ein Artikel erschienen mit der Überschrift „Kritik sollte organisch sein“, den Wolfgang Held als „Sprecher des Goetheanum“ im Auftrag und Namen des Vorstandes bzw. der Goetheanum-Leitung verfasst hatte. Dort heisst es zu Beginn:
„Das Goetheanum wird gegenwärtig mit Unterstellungen und Behauptungen konfrontiert, die auch an der Generalversammlung geäußert wurden. Wolfgang Held beschreibt die Umstände und wirbt für eine Art der Kritik, die das Gespräch fördert.“
Hintergrund dieser angeblichen „Unterstellungen und Behauptungen“ war die Übermalung der von Andrea und Christian Hitsch geschaffenen Wandbilder im Foyer sowie die Situation um den Standort für das Modell des ersten Goetheanums. Hierzu hatte Leonhard Schuster an der Generalversammlung 2017 im Zusammenhang mit der Entlastung des Vorstandes Stellung genommen. Symptomatisch ist auch hier, dass dem Leser von „Anthroposophie weltweit“ die Erkenntnisgrundlagen vorenthalten werden und er nur die Sichtweise des Goetheanum-Sprechers erfährt[10].
Allerdings entspricht die von Wolfgang Held vorgenommene „Beschreibung der Umstände“ nicht den Tatsachen, wie Leonhard Schuster in einer Richtigstellung10 feststellt. Diese liegt der Goetheanum-Leitung sowie der Redaktion seit Mitte Juni 2017 zur Veröffentlichung vor. Eine Richtigstellung der unwahren Behauptungen seitens Wolfgang Held ist bisher nicht erfolgt.
Wolfgang Held weiter:
„Rudolf Steiners Erkenntnisarithmetik, dass einem Schritt in der Erkenntnis zwei in der Moral entsprechen sollten, gilt wohl auch bei Einwänden: Ein Schritt in der Kritik verlangt zwei Schritte in Solidarität und Empathie. Fehlen sie, dann führt die Kritik nicht ins Gespräch, sondern sie vergiftet das Gespräch – die Kritik wird zum Instrument, wird zum Angriff.“
Sich hier in dieser Weise auf Rudolf Steiner zu beziehen, erscheint ein fragwürdiges Vorgehen, das Originalzitat, auf welche sich diese „Verwandlung“ Wolfgang Helds vermutlich[11] bezieht, findet sich in GA 10:
“Und diese goldene Regel ist: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten.“
Wolfgang Held ersetzt hier „die Erkenntnis geheimer Wahrheiten“ mit „Kritik“ und die „Vervollkommnung deines Charakters“ mit „Solidarität und Empathie“. Ist es nicht vielmehr Wolfgang Held, der die angeblichen Kritiker mit diesem in sehr fragwürdiger Weise veränderten Zitat angreift und ihnen unterstellt, es mangle ihnen an Empathie und Solidarität?
Eine Zwischenfrage scheint hier notwendig: Wem gegenüber sollen die „Kritiker“ denn mehr Empathie und Solidarität entwickeln? Damit kann doch nur der Vorstand bzw. die Goetheanum-Leitung gemeint sein? Wo aber bleiben hier Empathie und Solidarität mit Christian Hitsch, Rudolf Feuerstack und all den Mitgliedern, denen deren Wirken am Herzen liegt? Kommt an dieser Stelle nicht durch die Erwartung von Empathie und Solidarität gegenüber der Leitung der Gesellschaft zum Ausdruck, dass diese wichtiger zu sein scheinen als die Erkenntnis der Tatsachen und der Wahrheit?
Und ist es nicht dieser Beitrag, der durch unwahre Behauptungen die Situation vergiftet – im Namen des Vorstandes, der Goetheanum-Leitung, ja des ganzen Goetheanum? Wenn schon Rudolf Steiners von Wolfgang Held so genannte „Erkenntnisarithmetik“ herangezogen wird, dann wäre wohl die in „Wie erlangt man“ genannte allererste Bedingung angemessen gewesen:
Die Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis[12].
Welches Verhältnis der Einzelne zu diesen Aspekten des Schulungswegs hat, sollte in seinem persönlichen Bereich bleiben. Allerdings ist für das öffentliche Wirken im publizistischen Bereich gewiss eine besondere Sorgfalt im Bereich der Erkenntnis der Tatsachen und dem Wahrheitsgehalt der Darstellungen notwendig und auch zu erwarten, insbesondere bevor Mitglieder öffentlich kritisiert bzw. an den Pranger gestellt werden.
III. Aus einem Gespräch mit Justus Wittich
Anlässlich eines Gespräches am 24.04.2017 mit Justus Wittich im Nachgang der Generalversammlung hatte ich ihn mündlich und schriftlich auf verschiedene unrichtige Berichterstattungen von der Generalversammlung in der Wochenschrift hingewiesen, so auch auf diese:
„Benjamin Kolass von der deutschen Landesgesellschaft bemerkte zum Publikationsorgan der Gruppe[13], dass es kaum anthroposophischer Kultur entspreche, wenn man in der Weihnachtsausgabe nach Rücktritten rufe.“[14]
Tatsache ist: Es gibt keine Weihnachtsausgabe von „Ein Nachrichtenblatt“, in der nach „Rücktritten gerufen“ wurde! Wolfgang Held übernahm diese unwahre Behauptung, ohne sich zu vergewissern, ob sie überhaupt den Tatsachen entspricht. Das ist journalistisch zumindest fahrlässig und, da es sich um die Diskreditierung einer Mitgliederinitiative handelt, für den Sprecher des Goetheanum auch moralisch fragwürdig.
Hier hätte ich als Mitglied von Justus Wittich und Wolfgang Held, nachdem auf diese Fehler hingewiesen wurde, erwartet, dass eine Richtigstellung erfolgt und auch das Generalversammlungs-Protokoll zumindest mit einem entsprechenden Hinweis versehen wird. Von Benjamin Kolass wäre ebenfalls zu erwarten gewesen, dass er seine unwahre Behauptung korrigiert. Ich hatte ihn am 10.04.2017 angeschrieben und gebeten, doch die Weihnachtsausgabe zu benennen, in der die Rücktrittsforderung erschienen sei, eine Antwort ist ausgeblieben. Ein Versehen hätte gewiss schnell aus der Welt geräumt werden können, das ist jedoch nicht geschehen. So bleibt diese falsche Behauptung – mehrfach wiedergegeben – einfach in der Welt stehen. Und das in einer Gesellschaft, in der man sich der Erkenntnis und der Wahrheit in besonderer Weise verpflichtet fühlen sollte.
In Bezug auf den Antrag zur Aufhebung des Vorstandsausschlusses von 1935 hatte Wolfgang Held in „Das Goetheanum“ Nr. 17 vom 21.04.2017 Peter Selgs Beitrag zusammengefasst wiedergegeben:
„Dies [die Rehabilitierung Ita Wegmans und Elisabeth Vreedes] sei längst geschehen“
Zu dieser völlig entstellten Darstellung hatte ich Justus Wittich am 24.04.2017 das tatsächlich von Peter Selg Gesagte schriftlich übergeben:
Das hat Peter Selg so nicht gesagt, vielmehr hat er deutlich gemacht, dass in Bezug auf die Gesellschaft keinesfalls von einer Rehabilitierung die Rede sein könne und er hat darum gebeten bzw. seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass an der GV ein deutlicher Willensschritt in Richtung der Antragstellung getan werden könne. Zudem wies er auf falsche bzw. unvollständige Darstellungen in der Recherche von Uwe Werner und in dem „Änderungsantrag“ von Gerald Häfner hin.
Genauer: Ganz im Gegenteil sagte Peter Selg nach eigenen Angaben:
„Es könne zwar der Eindruck entstehen, eine “Rehabilitierung” Ita Wegmans sei durch die Tatsachen oder das gelebte Leben längst erfolgt – so durch das Wirken der medizinischen Sektion am Goetheanum. Und man könne auch ins Feld führen – und sage dies oft – dass die ehemaligen Vorstandsmitglieder längst in der geistigen Welt positiv verbunden seien. Jedoch sei eine Rehabilitierung auf Erden etwas ganz anderes – und von wesentlicher Bedeutung. Rudolf Steiner habe immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig – auch für die geistige Welt – das Erdenbewusstsein sei. Und man müsse doch bedenken, dass auch kein Opfer des Nationalsozialismus dadurch “rehabilitiert” worden sei, dass sich die Hierarchien in der geistigen Welt seiner angenommen hätten. Vielmehr sei sehr viel in den letzten Jahrzehnten dafür getan worden, das diesen Opfern irdisch zugefügte “himmelschreiende” Elend aufzuarbeiten und ihnen ihren Namen, ihre Bedeutung und damit ihre Würde zurückzugeben. Das sei auch in der Anthroposophischen Gesellschaft dringend nötig – ja unverzichtbar.“
“… Es könne keine Rede davon sein, dass die Aufhebung der Beschlüsse von 1935 [im Jahr]1949 nur aus “Respekt vor den Verstorbenen”[15] unterblieben sei. Das Urteil gegenüber Ita Wegman und Elisabeth Vreede in ihrer Vorstandstätigkeit habe vielmehr fortbestanden – und der Rückzug der “Denkschrift” sei damals aus aktuellen gesellschaftspolitischen Gründen erfolgt. Auch sei eine Herausnahme einer solchen Anklageschrift aus dem Handel etwas völlig anderes als die Dementierung bzw. faktische Widerlegung ihres Inhalts.“
Wäre nicht zu erwarten gewesen, vor allem den selbst formulierten Ansprüchen gemäss, dass eine Richtigstellung erfolgt? Auch im Protokoll der Generalversammlung war der Redebeitrages von Peter Selg vollkommen sinnentstellt wiedergegeben worden. Erst durch Peter Selgs persönliche Intervention wurde in „Anthroposophie weltweit“ 6/17, wie es dort von Paul Mackay, Justus Wittich und Oliver Conradt bezeichnet wird, der ursprünglich Protokolltext durch „eine präzisere Zusammenfassung seines Redebeitrags“ ersetzt. Peter Selg selber dazu in „Das Goetheanum“ Nr. 22 (Hervorhebungen nachträglich):
„Aufgrund verschiedener Leserzuschriften möchte ich betonen: Die Darstellung Wolfgang Helds in seiner kurzen Zusammenfassung der GV-Debatte zu Antrag 6 (Wegman/Vreede), derzufolge ich die Rehabilitation Ita Wegmans als «längst geschehen» bezeichnet hätte, entspricht nicht meinen Ausführungen – ebenso wenig wie das Kurzprotokoll in „Anthroposophie weltweit“ Nr. 5/2017. Was ich tatsächlich gesagt habe, wird in „Anthroposophie weltweit“ Nr. 6 kurz dargestellt.“
Im Anhang sind beide Darstellungen im Vergleich wiedergegeben, so kann sich der Leser selbst ein Bild davon machen, was hier unter einer „präziseren Zusammenfassung“ verstanden wurde.
Der Hinweis auf diese Falschdarstellungen durch ein „einfaches Mitglied“ hatte keinerlei Wirkung, es brauchte dafür Peter Selgs direkte Intervention. In diesem Sinne ist die Begründung von Stephen E. Usher, sich gleich an die Öffentlichkeit zu wenden, sehr wohl gut nachvollziehbar und offensichtlich auch sachgemäss.
Sowohl Justus Wittich als auch Wolfgang Held behaupten in ihren Beiträgen, dass es eine Gesprächsbereitschaft gäbe. In diesem Sinne bitte ich diesen Beitrag zu verstehen, der Gesprächsraum hierfür ist „Anthroposophie weltweit“. Wenn das Gesprächsangebot ernst gemeint ist, dürfte einer ungekürzten Veröffentlichung inklusive der Anlage dort nichts im Wege stehen, damit die Mitglieder in der Lage sind, sich selber ein Urteil zu bilden und so sinnvoll an dem Gespräch teilnehmen können.
Thomas Heck, 11. September 2017
Anlage
Vergleich des Beitrages Peter Selgs an der Generalversammlung 2017 lt. offiziellem Protokoll und lt. „Richtigstellung“ durch Peter Selg.
Vergleich der Protokoll-Wiedergabe aus AWW 5/17 mit dem von Peter Selg tatsächlich Gesagten, veröffentlicht in AWW 6/17 und dort als „präzisierte“ Version bezeichnet. Die Absätze wurden zur besseren Vergleichbarkeit nachträglich eingefügt, ebenso die Hervorhebungen.
Protokoll-Wiedergabe
aus „Anthroposophie weltweit“ 5/17 |
Richtigstellung durch Peter Selg
aus „Anthroposophie weltweit“ 6/15 |
Die Beratung zu Antrag 6 wird mit einem Beitrag von Peter Selg (Arlesheim/CH) fortgesetzt. Er dankt zunächst Justus Wittich für die Bitte um einen Beitrag zur Debatte. | Die Beratung zu Antrag 6 wird mit einem Beitrag von Peter Selg (Arlesheim/CH) fortgesetzt. Er dankt zunächst Justus Wittich für die Bitte um einen Beitrag zur Debatte. |
Die Rehabilitation von Ita Wegman und Elisabeth Vreede habe in der geistigen Welt längst stattgefunden. Auch auf der Erde sei durch die reale Existenz der medizinischen Bewegung vieles in Richtung Rehabilitation geschehen.
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Man könne zwar die Auffassung vertreten, dass die Rehabilitation von Ita Wegman praktisch längst erfolgt sei (unter anderem durch das positive Wirken der Medizinischen Sektion) und dass sie und Elisabeth Vreede in der geistigen Welt längst wieder mit den ehemaligen Kollegen verbunden seien. Dennoch sei eine Rehabilitation auf Erden – unter Aufarbeitung und Herausstellung des erlittenen Unrechts – etwas ganz anderes und unbedingt Notwendiges. Rudolf Steiner habe immer auf die Bedeutung von irdischen Bewusstseinsvorgängen und Taten hingewiesen. |
Trotzdem sei er dankbar für das durch den Antrag angestoßene Gespräch. | Peter Selg dankt daher für den Impuls des Antrages. |
Ob wir uns wirklich über die Wirkensimpulse von Ita Wegman und Elisabeth Vreede einig seien? Peter Selg geht davon aus, dass 1949 eine Initiative, die beiden Frauen wieder in den Vorstand aufzunehmen, keine Chance gehabt hätte. Auch die Versöhnungsgeste von Hermann Poppelbaum wolle er nicht zu hoch bewerten.
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Die von Uwe Werner ins Spiel gebrachten Interpretationen der Generalversammlungsvorgänge des Jahres 1949 seien historisch so nicht zutreffend – die Rücknahme der Denkschrift aus dem Buchhandel stand damals mit tagespolitischen Ereignissen in Zusammenhang und war definitiv keine ‹Versöhnungsgeste›; auch hätte ein Antrag auf Rücknahme der Beschlüsse von 1935 damals keine Chance gehabt und sei nicht lediglich aus ‹Respekt vor den Verstorbenen› unterblieben. 1949 bestanden die Urteile über Wegman/ Vreede von 1935 vielmehr fort – weder Albert Steffen noch Guenther Wachsmuth waren der Auffassung, sich 1935 geirrt zu haben. |
Peter Selg schlägt vor, dass die Versammlung heute einen Entschluss im Sinne des Alternativvorschlags von Gerald Häfner mit Folgecharakter nehme, sodass man den Impulsen von Ita Wegman und Elisabeth Vreede für die Gegenwart und Zukunft gerecht werde.
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Peter Selg begrüßt den Antrag, aber auch das Anliegen von Gerald Häfner, und votiert für eine Verbindung beider Initiativen. Es sollte durch den Antrag ein Willensakzent gesetzt werden – und dann in Richtung einer Rehabilitation im Sinne des Anliegens gewirkt werden. Die Anthroposophische Gesellschaft brauche die Unterstützung der bedeutenden Individualitäten von Ita Wegman und Elisabeth Vreede, gerade auch in der Umbruchszeit der Gegenwart, um als Gesellschaft den Weg in die Zukunft finden zu können. |
[1] Ausgabe 5.2 vom 4. Oktober 2016
[2] Ausgabe Nr. 21/2016
[3] Anthroposophie weltweit (AWW) Nr. 12/2016, „Eine irritierende Auseinandersetzung“
[4] Hier ist anzumerken, dass in dem Beitrag von Justus Wittich erstmals in Anthroposophie weltweit auf „Ein Nachrichtenblatt“ verwiesen und auf einen Beitrag reagiert wurde. Trotzdem erklärt Justus Wittich lt. Protokoll („Anthroposophie weltweit“ 5/17) an der Generalversammlung, dass der Vorstand am Goetheanum keine Stellung zu Ausführungen in „Ein Nachrichtenblatt“ beziehe, was insofern nicht stimmt, als genau dieses in seinem Artikel erfolgte.
[5] „Ein Nachrichtenblatt“, Nr. 22/2016
[6] Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Auswahl der Mitgliederbeiträge, die in Goetheanum-Publikationen veröffentlicht werden, nicht immer im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung erfolgt, welche die Mitglieder möglichst objektiv informiert. Das ist jahrzehntelange Praxis, die sich allerdings seit 2011 durch die Abschaffung des wöchentlich erschienenen Nachrichtenblattes „Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht“ erheblich verstärkt hat. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Vorgehen von den Herausgebern bestritten wird und schwierig zu beweisen ist. Das ist aber auch nicht nötig, es gibt genug Erfahrung, über die offensichtlich auch Stephen E. Usher verfügt.
[7] Mit dem „Blatt Roland Tüschers“ ist „Ein Nachrichtenblatt“ gemeint.
[8] Eine richtigstellende Reaktion von Stephen E. Usher wurde erst 2 Monate später in „Anthroposophie weltweit“ 1‑2/17 veröffentlicht.
[9] Dieses Gespräch war bereits eröffnet. Begonnen hatte es in „Ein Nachrichtenblatt“. Nur nahm Justus Wittich daran nicht teil. Sein Beitrag war in einem anderen „Raum“ erschienen. Wirklich offen und fruchtbar kann ein Gespräch aber nur dann sein, wenn im gleichen Raum gesprochen beziehungsweise geschrieben wird.
[10] Der von Leonhard Schuster an der Generalversammlung vorgetragene Inhalt wurde in „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 9/2017 veröffentlicht. Die nachfolgend hier erwähnte Richtigstellung des Artikels von Wolfgang Held, deren Abdruck in Anthroposophie weltweit bisher verweigert wurde, findet sich in „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 12/2017.
[11] Der Verfasser hat bei Wolfgang Held am 12.06.2017 nachgefragt, ob er sich auf den entsprechenden Hinweis von Rudolf Steiner in GA 10 bezieht. Eine Antwort steht auch im Juni 2018 noch aus..
[12] GA 10, Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten, 1992, z.B. S. 22
[13] Mit „Gruppe“ sind offensichtlich die Antragsteller gemeint.
[14] „Das Goetheanum“ Nr. 17 vom 21.04.1017
[15] Siehe hierzu das Anliegen zum Antrag 6 von Gerald Häfner, Anthroposophie weltweit 5/17.