Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Vollständige Version des Leserbrief an „Das Goetheanum“. Die um 50% gekürzte Version ist am 3. August 2018 in “Das Goetheanum” erschienen.

Lieber Herr Deféche

Ich beziehe mich auf Ihren Artikel „Dornach: Einheit und Spaltung“ im »Goetheanum« Nr. 14 und die daran anschließende Korrespondenz mit Mario Betti. Ich möchte zunächst auf Ungenauigkeiten hinweisen, durch die ein falsches Bild entstehen kann. So schreiben Sie, dass es einerseits galt, Elisabeth Vreede und Ita Wegman „zu rehabilitieren“. Es war außerordentlich aufwendig (mehr als 100 Seiten Schriftverkehr!) Justus Wittich und Gerald Häfner davon zu überzeugen, dass es nicht darum geht und auch nicht möglich ist, die beiden damaligen Vorstandsmitglieder durch einen Beschluss „zu rehabilitieren“, sondern dass durch die Aufhebung der Beschlüsse von 1935 lediglich ein – gewiss wesentlicher – Beitrag zur Rehabilitierung geleistet werden kann. Gerald Häfner hatte diese Sichtweise übernommen und an der Generalversammlung auch deutlich darauf hingewiesen. Die nun von Ihnen verwendete Formulierung kann zu dem Eindruck führen, dass mit dem Beschluss an der Generalversammlung die Rehabilitierung abgeschlossen sei. Davon kann jedoch keineswegs die Rede sein, da noch vieles aufzuarbeiten ist, so ist zum Beispiel die Denkschrift inhaltlich noch nicht durchdrungen worden und auch die Rolle des Gesellschaftsorganes „Vorstand“ am Zustandekommen der damaligen Beschlüsse bedarf noch der Klärung.

In Bezug auf die Zäsur verwenden Sie leider auch eine unklare Formulierung, Sie schreiben von „einer Bestätigung der Amtszeit“. Auch diese Formulierung ist ungenau, denn es ging tatsächlich um eine „Verlängerung der Amtszeit“. Dies war der Wunsch des Vorstandes und der Funktionäre, dem hat jedoch die Generalversammlung mehrheitlich nicht zugestimmt.

Sie schreiben dann weiter, dass ein seltsames Bild entstanden sei, in dem „klare Einheit“ und „harte Spaltung“ im gleichen Raum auftraten. Auch wenn sie dies nicht explizit zum Ausdruck bringen, so kann der Eindruck entstehen, dass die „klare Einheit“ positiv und die „harte Spaltung“ negativ zu bewerten sei. In der Frage der Zäsur hat an der Generalversammlung eine  deutliche Mehrheit das erreichte Ergebnis gewünscht. Und es liegt im Wesen des sozialen Lebens, dass man sich nicht immer einig ist. Dies dann gleich als Spaltung zu bezeichnen und negativ zu belegen, ohne auf die zugrunde liegenden Ursachen Bezug zu nehmen, ist gewiss nicht sach- und auch nicht wesensgerecht.

Sie respektieren das Ergebnis durchaus, sind aber dann doch der Ansicht, dass „man“, also die Allgemeinheit, bedauern könne, dass nun mit diesen zwei „erfahrenen“ Menschen nicht weitergearbeitet werden könne und Sie verweisen auf die „erfolgreiche, unternehmerische Energie“ Paul Mackays und auf Bodo von Plato, „der die Anthroposophie mit einer herausragenden Offenheit repräsentiert“ habe. Hier wäre interessant zu erfahren, worauf Sie Ihr Urteil über die erfolgreiche Tätigkeit von Paul Mackay und die Repräsentanz der Anthroposophie durch Bodo von Plato gründen. Hierzu einige Beispiele:

  • Die in jeder Hinsicht missratene Faustinszenierung, die nun endgültig als die kürzeste, ungenügend­ste und als einzige mit einem erheblichen Defizit in die Geschichte der Gesellschaft eingehen wird. Daran tragen gewiss die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder eine erhebliche Mitverantwortung. Frühere Faustinszenierungen haben durch Überschüsse in erheblichem Masse zur Finanzierung der Goetheanums beigetragen – jetzt haben wir ein Mehrere-Millionen-Defizit.[1]
  • Die Tatsache, dass Paul Mackay nach eigenen Angaben bereits seit dem Jahrtausendwechsel klar war, dass das strukturelle Defizit zu hoch ist (AWW 9/2010), sich aber daran nicht nur nichts geändert hat, sondern das Defizit in erheblichem Masse gestiegen ist und die finanzielle Lage der Gesellschaft heute als ausgesprochen prekär und dramatisch bezeichnet werden muss.
  • Die kommentarlose Veröffentlichung des Rudolf Steiner diskreditierenden und diffamierenden Zitates von Helmut Zander in „Rudolf Steiner Bilder“.[2]
  • Die ausgesprochen unkünstlerischen, teuren und unnötigen Umgestaltungen im Goetheanum, die zu einer lieblosen und kalten Atmosphäre geführt haben.[3]
  • In der Konstitutionsfrage wurde 2005 insbesondere durch Paul Mackay und Bodo von Plato die zuvor gewonnene eigene Erkenntnis, dass die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft nicht die Weihnachtstagungsgesellschaft sei, ersetzt durch Erwägungen eines Solothurner Gerichtes, welches aufgrund unzureichender Informationen und auch aus anderen Gründen in dieser Fragestellung keinesfalls angemessen urteilsfähig war. Entgegen der eigenen Erkenntnis von 2002 wird auch weiterhin der Mythos verbreitet, die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft sei von Rudolf Steiner an der Weihnachtstagung begründet worden, was definitiv nicht richtig ist. Siehe hierzu: http://www.wtg-99.com/mythos-fusion/.
  • Während der Amtszeit von Paul Mackay und Bodo von Plato konnte der Mitgliederrückgang nicht gestoppt werden.
  • Insbesondere durch die Umgestaltung der Wochenschrift, sowohl optisch als auch inhaltlich, hat sich die Auflage in etwa halbiert auf derzeit ca. 5-6000.
  • Ebenfalls in die Amtszeit der beiden fällt die Abschaffung des Nachrichtenblattes und damit die auch schon zuvor spärlichen Kommunikationsmöglichkeiten für die Mitgliedschaft.

Diese Liste ließe sich durch weitere Punkte ergänzen, besonders auch die Hochschule betreffend. Von all diesen Aspekten war in dem Interview, das Sie im Vorfeld der Generalversammlung 2018 mit den beiden Vorstandsmitgliedern geführt haben, überhaupt nicht die Rede. Jeglicher Rückblick auf die konkreten Tätigkeiten der beiden war offensichtlich vermieden worden. So hatte dieses Interview allenfalls den Charakter einer konventionellen Werbemaßnahme und war für eine sachgemäße, bzw. im Rahmen einer anthroposophischen Gesellschaft wesensgemäßen Orientierung der Mitglieder vollkommen ungeeignet.

Aus Ihrem Artikel spricht deutlich eine gewisse Betroffenheit Ihrerseits und man darf wohl mit Recht annehmen, dass Sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätten. Das ist Ihr gutes Recht und steht Ihnen uneingeschränkt zu. Es muss aber die Frage erlaubt sein, ob es die Aufgabe der Redaktion der Wochenschrift ist, in diesen Artikeln die Betroffenheit eines Redaktionsmitgliedes zum Ausdruck zu bringen. Ein solcher Beitrag kann nur einseitig sein. Im Gegensatz dazu hat ein sehr großer Teil der an der Generalversammlung anwesenden Mitglieder zum Ausdruck gebracht, dass man sich eine wahrheitsgemässere und ausgeglichenere Berichterstattung wünscht. Die in Ihrem Beitrag durchscheinenden Bewertungen sind zum Teil auf nichts gegründet bzw. werden die Grundlagen nicht genannt, sind sogar als eigentlich oberflächlich zu bezeichnen. So ist „Einigkeit“ kein positiver Wert an sich, letztendlich käme es darauf an worüber man sich einig ist. Und auch eine „Spaltung“ im Sinne unterschiedlicher Auffassungen ist nicht negativ an sich. Auf Ihre unbegründeten Beurteilungen der Tätigkeiten der beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder hatte ich bereits hingewiesen.

Zu fragen ist, ob Sie sich denn mit den Mitgliedern und deren Argumenten, die diese gegen eine weitere Amtszeit vorgebracht haben, auseinandergesetzt haben? Haben Sie z.B. mit den betreffenden Mitgliedern (darunter auch inzwischen ehemalige Mitarbeiter des Goetheanums) das Gespräch gesucht? Warum kommen diese Mitglieder im Rahmen eines freien Geisteslebens im Rahmen der Publikationsorgane der Gesellschaft nicht zu Wort? Wäre es nicht geradezu eine Aufgabe, Ihre Aufgabe, einen Dialog und einen Austausch zu ermöglichen? Wie soll sonst eine Versöhnung, von der Sie schreiben, möglich werden? Hierin würde ich eine angemessene und auch wünschenswerte Aufgabe sowohl für die Wochenschrift als auch für „Anthroposophie weltweit“ sehen. Gewiss ist es nicht produktiv und auch nicht versöhnlich, wenn ausschließlich die Betroffenheiten der Redakteure zum Ausdruck gebracht werden, wie es in Ihrem Artikel und in dem Artikel von Wolfgang Held „Hässliche Weckwesen“[4] erfolgt ist. Wenn Sie nicht nachvollziehen können, dass diese Artikel, wie auch von Mario Betti bemerkt, als suggestiv erlebt werden, wird sich der weitere Niedergang der Wochenschrift und auch der Gesellschaft kaum aufhalten lassen.

Thomas Heck, 6. Juni 2018

[1] „Anthroposophie weltweit“, 11/17, wobei nicht der gesamte Aufwand dargestellt ist, wie Justus Wittich am Mitgliedertag am 3. November 2017 ausführte.

[2] Ein Nachrichtenblatt, Nr.21, 9. Oktober 2016, Zum Vorfall der Goetheanum-Publikation ‹Rudolf Steiner Bilder› – »Das Goetheanum ist ein Haus, das mit sich selbst uneins geworden ist«, Stephen E. Usher

[3] Ein Nachrichtenblatt PLUS VII, Warum die Zäsur notwendig war, John C. Ermel

[4] http://www.wtg-99.com/rundbrief-ein-fuerwahr-wirklich-haessliches-weckwesen/, sowie: Ein Nachrichtenblatt PLUS VII/2018

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