Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Freitag, 23 März 2018, Generalversammlung im großen Saal, auf der Tagesordnung: Aussprache zu den Anträgen und Anliegen. In eindrücklichen Worten, mit strenger Stimme, ermahnte der Versammlungsleiter Florian Oswald die ca. 650 anwesenden Mitglieder, sie mögen sich vergegenwärtigen, in welchem Raum sie sich befinden. Dabei wies er demonstrativ auf die Deckenmalerei und die Fenster. Es sei die Würde des großen Saales zu berücksichtigen, wenn man hier spricht. Durch die von vielen Mitgliedern empfundene unangemessene und oberlehrerhafte Ermahnung entstand eine beklemmende Stimmung im Saal, in die hinein dann die Regeln für die Aussprache genannt wurden: maximal 3 Minuten Redezeit, er habe das Recht zu unterbrechen und er wolle keine Mitglieder sehen, die sich zum Sprechen an der Bühne anstellen. Man solle sich melden und er würde auswählen, wer sprechen kann. Sowohl der Inhalt als auch die Art und Weise, wie Florian Oswald selber sprach, standen im krassen Widerspruch zur Würde des Saales. Die Mitglieder nahmen die Massregelungen hin, lediglich ein Zwischenruf „was erlauben Sie sich?“ brachte die Situation auf den Punkt, blieb jedoch ohne Reaktion. In der Folge, und das dann besonders am Sonntagvormittag, sollte sich zeigen, dass die Würde durch die Mitgliedschaft gewahrt blieb, einzig aus der Goetheanum-Leitung und dem Kreis der Generalsekretäre bzw. der Landesvertreter fielen einige aus der Rolle, indem sie einzelne Mitglieder bzw. ganze Mitgliedergruppen in zum Teil hochemotioneller Art und Weise diskreditierten. Denkwürdig war der Sonntagvormittag, als einige Leitungspersönlichkeiten ihre Empörung über das Abstimmungsergebnis zum Ausdruck brachten und den Mitgliedern regelrecht die Leviten gelesen haben.

Nein, der Würde des Goetheanums und der Gesellschaft entsprach vieles nicht, was durch die Leitung der Gesellschaft und der Hochschule zu verantworten war:

  • Der Umgang mit der Zäsur von Bodo von Plato und Paul Mackay war im Grunde eine Verhöhnung der Mitgliedschaft, angesichts der 2011 zur Einführung der Zäsur vorgeschobenen Begründung, man wolle die Mitgliedschaft mehr einbeziehen und der nahezu vollständigen Nicht-Information (und damit Nicht-Einbeziehung) der Mitglieder in Bezug auf die Zäsur 2018. (Siehe „Ein neues soziales Feld entwickeln“ in dieser Ausgabe)
  • Die regelrechte Treibjagt und Diskreditierung der Vorstandsmitglieder AGiS, die sich auf Nachfrage des Vorstands am Goetheanum die Freiheit erlaubt hatten, eine Amtszeitverlängerung nicht zu befürworten.
  • Die Berichterstattung darüber in Anthroposophie weltweit, die in dem Beitrag von Jaap Sijmons gipfelte.[1]
  • Durch die zeitliche enge Vorgabe des Vorstandes für die Behandlung von Mitgliederanträgen und -Anliegen 2018 und 2019 wird deutlich gemacht, dass man einen Einbezug der Mitgliedschaft nicht wünscht, es drückt sich darin eine regelrechte Missachtung der Mitgliedschaft aus, die 2019 insofern noch gesteigert ist, indem die Anträge und Anliegen nicht wie seit Jahrzehnten üblich im vollen Wortlaut in AWW veröffentlicht wurden und auch eine Übersetzung bisher nicht erfolgt ist (Stand 22. März 2019).
  • Die Ignoranz der Leitung gegenüber den Argumenten und Gründen derjenigen, die einer Amtszeitverlängerung nicht zustimmen konnten.
  • Die Verheimlichung der Tragweite der Aufgabendelegation an die Goetheanum-Leitung, die 2012 vereinbart wurde, der Mitgliedschaft jedoch erst 2018 durch den dritten Mitgliederbrief offenbart wurde.
  • Die Veröffentlichung der Beiträge „Die offene Anthroposophie und ihre Gegner“[2] und die darin enthaltene vollkommen haltlose Diskreditierung von Mitgliedern – und Rudolf Steiner, verantwortet durch den Chefredakteur und den Sprecher des Goetheanum – damit verantwortet auch durch die Gesellschaftsleitung!
  • Die unwahre Berichterstattung in den Publikationsorganen der Gesellschaft, die im Grunde durch ein sehr deutliches Votum der Mitgliedschaft an der Generalversammlung 2018 zu einem entsprechenden Antrag (Antrag 8) bestätigt wurde. Sowohl diese Tatsache als auch die in dem Antrag genannten Beispiele unwahrer Berichterstattung wurden durch das totale Schweigen der Leitung und der Redaktionen ebenfalls als zutreffend bestätigt.
  • Im Zuge der Rechenschaft zu der Faustinszenierung 2016 wurde die Unfähigkeit der Leitung deutlich, bei der selber in Auftrag gegebenen Faustinszenierung im Gegensatz zu vielen Mitgliedern nicht rechtzeitig erkennen zu können, dass diese „spirituell nicht genügend durchdrungen“ (Bodo von Plato) war (Paul Mackay, warum es so lange gedauert habe: „Wir haben eben so lange gebraucht.“). Auch für die Neu-Inszenierung 2020 ist nicht zu erwarten, dass diese der Würde des Goetheanums angemessen sein wird. (Siehe ‹FAUST 2020› in „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 5, 10. März 2019).
  • „Seit über 10 Jahren zeichnet sich ab, dass am Goetheanum die Spanne zwischen Ausgaben und Einnahmen zu gross wird“, so lautete die Feststellung des Vorstandes im Jahr 2010. Diese Situation hat sich in den letzten Jahren in dramatischer Weise zugespitzt. Auch nach fast 20 Jahren kann vom Vorstand nicht erläutert werden, wie das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes erreicht werden soll.
  • Weiter könnte der Umgang mit dem Zander-Zitat im Zusammenhang mit der Ausstellung „Rudolf Steiner Bilder“, die öffentliche und weltweite ungerechtfertigte Diskreditierung eines Mitgliedes durch J. Wittich in diesem Zusammenhang, der Umgang und die Haltung zur „Steiner Kritischen Ausgabe“ von Christian Clement und vieles andere mehr genannt werden.

Als wenn das alles nicht reichen würde – nun auch noch dieses:

Fotoshooting für Modewerbung im und am Goetheanum, im großen Saal, die Fenster im Hintergrund und, ganz gezielt, auch die Deckenmalerei. Ein Model in aufreizenden Pose, gekonnt inszeniert im oberen Saaleingang, das rote Fenster im Hintergrund (auch wenn es nicht auf den ersten Blick erkennbar ist) und auf weiteren Bildern Models in Eurythmie persiflierenden Stellungen Und als wenn das nicht schon genug wäre auch noch der Sektionsleiter, Mitglied der Hochschulleitung und Lektor sowie weitere Mitglieder des Goetheanum-Eurythmie Ensembles als Models in Designerklamotten und halbeurythmischen Posen!

Zu den Fotos

Aus der Erklärung von W. Held: „Das Goetheanum erhält beinahe wöchentlich Anfragen von Redaktionen und Agenturen, den Bau von außen und innen fotografieren oder filmen zu dürfen. In der Mehrzahl der Fälle – wenn es um Produktmarketing geht – lehnen wir solche Gesuche ab, um die Identität des Goetheanum zu schützen. … Die Tatsache, dass Lukas Wassmann, der Fotograf des im Magazin publizierten Beitrags, seiner verstorbenen Mutter, die, selbst Eurythmistin, an der Else-Klink-Eurythmieschule als Haushälterin tätig war, diese Fotoserie widmen wollte, ließ uns sein Vorhaben wohlwollend prüfen. In diesem Fall haben wir nach Rücksprache im Haus der Fotoserie zugestimmt. “

Hier stellen sich gleich mehrere Fragen: Der einzige positive Grund, der von Wolfgang Held genannt wird, ist die Tatsache, dass der Fotograf der Sohn einer verstorbenen Eurythmistin gewesen ist. Das allein soll ausgereicht haben, um ein Vorhaben für eine Produktwerbung, die als Reportage getarnt ist, zu genehmigen? Und mit wem hat er Rücksprache gehalten, wer ist mit „im Haus“ gemeint, den er gefragt hat und der letztlich für die Genehmigung den Ausschlag gegeben hat? Und wie sind die Mitglieder des Eurythmie Ensembles dazu gekommen, als Models mitzumachen? Haben sie von der Bühnenleitung oder der Sektionsleitung einen entsprechenden Auftrag erhalten? Von Justus Wittichs Stellungnahme wurde berichtet: “Justus Wittich sprach von einer Gratwanderung, den der arme Wolfgang Held beschreiten müsse, um solche an das Goetheanum gestellte Anfragen zu entscheiden. Er [J. Wittich] habe sich die Bilder angeschaut und den Text hierzu [der Reportage] gelesen, und er meine, die Bilder seien grossartig, man hätte so etwas auch mit anthroposophischen Bekleidungsideen längst machen sollen, und der Text sei von allerhöchster Qualität.”

Wenn in der Leitung des Goetheanum und der Gesellschaft schon kein Gespür mehr für die Würde des Hauses vorhanden ist (man vergegenwärtige sich, dass es sich bei den Leitenden um Mitglieder der Hochschulleitung handelt, die zumeist auch Lektoren sind, d. h. Klassenstunden halten) muss man doch fragen, ob denn niemand auf die Idee gekommen ist, dass diese vollkommen unnötige Aktion von sehr vielen Mitgliedern empört abgelehnt werden könnte?  Zu meinen, man habe das nicht bedacht, wäre wohl eine Beleidigung der intellektuellen Fähigkeiten der Verantwortlichen.

Zur Würde des Goetheanums gehört auch, inwieweit wahr und ehrlich  im Goetheanum gesprochen (und geschrieben) wird. Die Zäsur wurde 2011 eingeführt, weil „auch die Mitglieder verstärkt in die Verantwortung einbezogen werden“ [3] sollten und „Gern möchten wir die Zusammenarbeit der Mitglieder mit den Verantwortungsträgern verstärken, sodass die Gesellschaft zum Partner des Vorstands wird und sich nicht als Gegenüber versteht.“[4] Hatte die Entwicklung der letzten Jahre bereits gezeigt, dass davon keine Rede sein konnte, wird jetzt durch den Antrag von Paul Mackay zugegeben, dass  es sich bei den damaligen Begründungen und Aussagen um Unwahrheiten – oder wohl doch: um bewusste Lügen – gehandelt hatte, eine schwere Verletzung der Würde des Goetheanum und der Gesellschaft und, so stellte sich jetzt heraus, ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber der Mitgliedschaft, denn, wie schon angedeutet, wurde nichts von dem, was damals versprochen wurde, auch nur im Ansatz zu realisieren versucht. Im Gegenteil, wie die Zäsur 2018 gezeigt hat und wie sich jetzt für die Zäsur 2019 ebenfalls abzeichnet. So ist die Begründung, die Paul Mackay vorbringt, ein regelrechter Paukenschlag: denn er gibt heute unumwunden zu, dass die damalige Einführung der Zäsur eine taktische Gegenreaktion auf den damaligen Abwahlantrag war. Nachdem er nun Opfer seiner eigenen Taktik geworden ist, möchte er dass die Amtszeitbegrenzung wieder aufgehoben wird. Dieses Vorgehen erscheint an unverfrorener Dreistigkeit kaum noch zu überbieten zu sei. Oder doch? Denn ist es vorstellbar, dass dieser Antrag von ihm nicht im Einvernehmen mit dem Vorstand, der Goetheanum-Leitung und/oder den Generalsekretären gestellt wurde? Auch dieses Vorgehen ist mit der Würde nicht nur des großen Saales sondern der Gesellschaft, der Anthroposophie und einer Verantwortung der Hochschule gegenüber vollkommen unvereinbar.

Die Genehmigung des Jahresabschlusses und die Entlastung des Vorstandes erfolgen an den Generalversammlungen in aller Regel mit grosser Mehrheit, auch wenn in den letzten Jahren die Enthaltungen (die wohl gezählt, aber nicht gewertet werden) durchaus zugenommen haben. Die Zustimmung und Entlastung entspricht einem Auftrag: „Bitte weiter so!“ Angesichts dieses Auftrags seitens der Mitglieder ist es dann aber auch nicht verwunderlich, wenn sich die hier beispielhaft angeführten Zu- und Missstände fortsetzen und steigern.

Thomas Heck, 22. März 2019

[1] Anthroposophie weltweit 7-8/18 und „Wann treten Sie zurück?“, Ein Nachrichtenblatt Nr. 18, 16. September 2018 bzw. www.gv-2019.com/letter-to-sijmons

[2] Anthroposophie weltweit 7-8/18

[3] Anthroposophie weltweit 3/11

[4] Anthroposophie weltweit 5/11

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